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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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geöffnet hatte, Scheinwerfer auf, die ihre weißen Strahlen aus der Finsternis auf die Gesellschaft warfen und diese in gleißendes Licht tauchten. Und in der Tat wehte, wie von Zauberhand gezogen, ein großer, schwarzer Vorhang auseinander, der in der Dunkelheit nicht sichtbar war, und wieder flammten Scheinwerfer auf, in deren Licht eine Musikkapelle trat und zu spielen begann. Unter orientalischen Musikklängen fuhr eine putzige Lokomotive auf die Bühne, die eine Reihe flacher, offener Metallwägelchen hinter sich herzog. Erst jetzt sah ich die schmalen Schienen, die in den Betonboden eingelassen waren. Es war eine elektrische Bahn zum Transport der Munition und anderer Güter. Sie befuhr ein Schienennetz von 3,8 Kilometern, wie ich in der Broschüre gelesen hatte. Schwere Dieselaggregate lieferten den Strom, mit dem 10.000 Haushalte hätten versorgt werden können.
    Das Brautpaar wurde von dem Riesen aufgefordert, im ersten der Wägelchen Platz zu nehmen. Mädchen standen mit großen Sträußen bereit, auf Silbertabletts wurden Naschereien serviert und Tee in kleinen Gläsern. Nach und nach bestiegen die Gäste die kleinen Wägelchen, die bald besetzt waren. Der Zug musste mehrmals fahren. Jeder der Gäste in den Wägelchen bekam einen Blumenstrauß von einem der Mädchen gereicht. Unter dem Beifall, Winken und den Rufen der Wartenden setzte sich der Zug, der von einem älteren Herrn bedient wurde, in Bewegung. Die Musik spielte feurig, und unter der kleinen Lokomotive stoben elektrische Funken aus den Kontakten.
    Dann geschah es. Ein junges Mädchen stürzte unter lauten Rufen auf die Lokomotive zu. Sie rief etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich sah nur, dass dieses Mädchen äußerst verzweifelt war. Es warf sich vor die Lokomotive. Die kam knapp zum Stehen. Das Mädchen sprang auf und sprang auf die Braut zu. Dabei schrie es und heulte und rief laut und verzweifelt. Es wollte die Braut von ihrem Sitz aus dem Wägelchen ziehen. Zum ersten Mal hob die Braut ihr Gesicht, sodass ich es sah. Sie war blutjung und wunderschön. Sie weinte. Dicke Tränen kullerten ihre Wangen hinunter. Was wollte dieses Mädchen, höchstens 20 Jahre alt, an der Seite dieses vergilbten Bräutigams, der neben dieser Schönheit jetzt doch fast mumienhaft aussah?
    Es ging blitzschnell. Der Riese wollte das schreiende Mädchen von der Braut wegreißen. Das aber ließ nicht los. Es klammerte sich an die Braut, an das Gestänge des Wägelchens, es schrie und zeterte und trat mit den Füßen nach dem Riesen, der jetzt, mit wutverzerrtem Gesicht, das Kinn des Mädchens von hinten packte, es mit seiner Pranke umspannte und den Kopf des Mädchens nach hinten bog. Die Schreie erstickten in einem Gurgeln. Der Hals drohte zu brechen. Immer noch umklammerten die Hände des Mädchens das Gestänge des Geländers.
    Dann hörte ich es. Das Hüsteln. Dieses langgezogene, quälende Hüsteln im Halse des Priesters, das immer stärker wurde, zu einem Crescendo anschwoll, wenn er beim Beglücken meiner Mutter vor dem Pelzschrank auf dem Höhepunkt seiner Lust angekommen war. Eine hohe, schlanke Gestalt mit kurz geschnittenen grauen Haaren war mit schnellen Schritten, unter ständigem, lautem Hüsteln, auf den Riesen zugeeilt, packte den Arm, dessen Hand das Kinn des Mädchens nach hinten bog, und redete hastig auf den Riesen ein. Der lockerte seinen Griff, das Mädchen schrie nicht mehr. Es drohte zu Boden zu sacken, wurde aber von dem Priester aufgefangen. Er trug einen schwarzen Anzug mit der typischen weißen, schmalen Priesterbinde, die knapp aus dem kragenlosen schwarzen Hemd mit Bündchen ragte. Es war der Priester meiner Kindheit, der laut hüstelnd das leblose Mädchen wegtrug. Eine aufgeregt auf den Priester einsprechende untersetzte Frau folgte ihm. Ebenso Barbara. Die Hochzeitsgesellschaft war konsterniert. Mit entsetzten Gesichtern standen die Menschen stumm da. Auf ein Zeichen des Riesen hin setzte die Musik wieder ein. Es war ein gespenstischer Anblick. Zögerlich kam wieder Bewegung in die erstarrten Menschen, als zöge ein Marionettenspieler an den Strippen seiner Figuren. Blitzartig waren große, muskulös aussehende Männer, offenbar von einem Sicherheitsdienst, aufgetaucht. Sie sicherten die elektrische Bahn, die sich in Gang setzte und mit ihren verstummten Fahrgästen in der Dunkelheit eines Tunnels verschwand.
    Das Filmteam Betty und Goofy hatte die ganze Szene im Licht der Scheinwerfer gefilmt. Goofy feuerte Betty an.

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