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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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angewinkelten Arme, sodaß sie bolzengerade und steif wie Zinnsoldaten voranmarschierten. An meiner Haltung hatte er nichts auszusetzen, ich durfte laufen, wie ich wollte. Aber bei diesem Ausflug wollte ich Bonbons, es ist sogar möglich, daß ich anstatt des Spaziergangs Bonbons haben wollte. Als Mutter mir eine Handvoll Erdbeeren pflückte — und das Erdbeerpflücken muß im Fischbeinkorsett eine ziemlich mühevolle Angelegenheit gewesen sein —, verzichtete ich auf die Erdbeeren und wollte durchaus Bonbons haben. Das war der Moment, in dem Vater mich ernst ansah und etwas von dem zum Brunnen gehenden Krug in seinen Bart murmelte, denn er trug wieder Bart, einen Vollbart, in den meine Schwestern Zöpfe flechten durften, damit er lockig über die Brust fiel. Es war etwas in seinem Blick und in seiner Stimme, was mich hätte stutzig machen müssen, aber ich kannte ihn ja noch nicht so lange.
    Das Ziel des Ausflugs war eine kühle, schattige Wirtschaft, die Waldschenke, ein beliebtes Ausflugslokal. Hier packte Mutter die mitgebrachten Wurstbrote und kalten Klopse aus — es waren immer gewaltige Pakete — und Vater labte sich daran und trank dazu ein Bier. Ich bewunderte ihn maßlos, wenn er den Schaum mit einem zischenden Geräusch aus seinem dicken Schnurrbart sog. Daheim benutzte er leider eine sogenannte Barttasse, deren Prozellansteg die Durchtränkung seines Schnurrbartes mit dem Kaffee oder Tee verhinderte. Als nun die Brote verteilt wurden, wiederholte ich mein Tauschangebot. Und endlich schien es zu klappen. Vater stand auf und sagte mit seiner mildesten Stimme: So, mein Jungchen, jetzt sollst du endlich deine Bonbons kriegen!
    Der Wirt der Waldschenke hatte auf der Theke zwei große Glasbehälter stehen, der eine davon enthielt rote Riesenhimbeeren zu einem Pfennig das Stück, und der andere rotweißgedrehte Pfefferminzstangen, die allerdings fünf Pfennige kosteten, aber heute sah Vater so aus, als ob er seine Spendierhosen anhätte und mir eine Pfefferminzstange bewilligen würde. Er nahm meine Hand und führte mich vom Tisch fort, aber nicht an die Theke, sondern geradewegs zu dem Bretterverschlag, hinter dem sich das Pissoir befand. Und ehe ich mich versah, lag ich über seinem Knie und verspürte ein schmerzliches Brennen am Hintern.
    »Na, wie ist’s, Jungchen, willst du noch immer Bonbons haben?«
    »Nein!« brüllte ich, »keine Bonbons mehr!«
    »Doch«, sagte Vater ganz ruhig, »ich sehe es dir doch deutlich an, daß du noch Bonbons haben möchtest«, und er fuhr fort, mir noch zwei oder drei volle Portionen auszuteilen. — Es war mein erster Zusammenstoß mit jener Geisteshaltung, die man Ironie nennt, und ich gestehe, daß ich ironische Leute bis auf den heutigen Tag nicht leiden kann.
    Ein- oder zweimal im Jahr leistete Vater sich einen besonderen Genuß. Dann fuhr er mit zwei befreundeten Kollegen, den Herren Gleich und Sczymanski, nach Prostken. Die Damen waren mit von der Partie, sie spielten dabei sogar eine wichtige Rolle. Prostken war die letzte Bahnstation vor der russischen Grenze. Drüben lag Grajewo, ein kleines Nest mit polnischer Bevölkerung. Zum Grenzübertritt brauchte man weder Paß noch Visum. Während die Herren sich auf der großen Glasveranda der Bahnhofswirtschaft in Prostken niederließen und den Durst mit einem Bierchen löschten, machten die Damen einen kleinen Ausflug in das große russische Reich und kehrten nach einer knappen Stunde wohlbehalten und von keinem russischen oder deutschen Zöllner belästigt nach Prostken zurück. In geheimen Frauenverstecken, nach denen kein Grenzer bei Damen zu forschen gewagt hätte, brachte jede von ihnen ein kleines Fäßchen mit großkörnigem, köstlichem Malossol-Kaviar mit, der bald darauf, auf Eis serviert, von der kleinen Gesellschaft nach russischer Art mit schwarzem Brot und Wodka löffelweise verzehrt wurde. Mir schob Vater ab und zu ein Löffelchen in den Mund und weckte in mir damit eine Leidenschaft, die mich in meinem späteren Leben eine Menge Geld gekostet hat. Man blieb bis in die einbrechende Nacht zusammen, denn dann wurden auf der Veranda bunte Laternen angezündet, die diesem Ausflug eine festliche Note gaben. Die Herren tranken noch einige Biere und Schnäpse, die Damen nippten an einem Gläschen Portwein, und ich bekam eine rote oder grüne Brauselimonade. Die Herren waren nach dem Festmahl in heiterster Stimmung und machten auf der Toilette witzige Bemerkungen, deren Sinn mir rätselhaft blieb und nach

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