Fröhliche Wiederkehr
Der Inhalt bestand aus einem Säckchen Alabastergips und einigen blanken Blechformen, in die man den Gipsbrei hineingoß; nach dem Erstarren der Gipsmasse ließen sich kleine Medaillons mit den Köpfen der preußischen Könige von Friedrich dem Großen bis zu Wilhelm II. in flachen Reliefs aus den Formen lösen. Der hatte mir gerade noch gefehlt! Und was man mit den Gipsmedaillons anfangen sollte, stand in der Gebrauchsanweisung auch nicht zu lesen. Aber so oder so, in der Finsternis des Kabinetts konnte ich mit beiden Geschenken ohnehin nicht viel anfangen.
Ja, die Schändung der kaiserlichen Majestäten hat Vater mir lange nicht vergessen und nicht vergeben. Erst, als ich ihm eine Fotografie des Kaisers mit dessen eigenhändiger Unterschrift heimbrachte, die der Kaiser mir persönlich durch seinen Adjutanten überreichen ließ, begannen seine Zweifel an meiner Hohenzollerntreue zu schwinden. Es war nämlich inzwischen das Jahr angebrochen, in dem das fünfundzwanzigjährige Regierungsjubiläum des Monarchen in ganz Deutschland festlich begangen wurde. Ich hatte die Vorschule bei Herrn Hoffmann hinter mich gebracht und war in der Rangordnung als drittbester der Séptima in die Sexta des Gymnasiums versetzt worden. Die Deklination von mensa eröffnete neue geistige Perspektiven, und am Horizont zogen die dunklen Wolken des Bruchrechnens auf. Natürlich beehrte Se. Majestät auch die Krönungsstadt der preußischen Könige mit seinem Besuch und schlug eine ehrfurchtsvolle Einladung unseres Geheimrats nicht aus, einer Gründung seines erlauchten Ahnherrn, Friedrichs des Großen, eine kurze Visite abzustatten. Die Schulräume wurden geschrubbt und auf Hochglanz gebracht, wie eine Kaserne, die eine Inspektion des Kommandierenden Generals erwartet. Man tat, als ob sich der Kaiser höchstpersönlich mit weißem Handschuh wie ein Stabsfeldwebel davon überzeugen werde, daß nicht einmal über dem Türrahmen ein Stäubchen seine Spur auf dem prüfenden Handschuhfinger hinterlassen werde. Der Geheimrat bereitete sich auf die Rede vor, die er im Angesicht Sr. Majestät halten wollte, und zwei Schüler, ein Primaner und ein Sextaner, sollten den Kaiser durch den Vortrag eines Festgedichtes erfreuen. Unser Klassenleiter war Herr Dr. Latte mit dem Spitznamen Bakulus. Er kannte uns noch nicht lange genug, und so zog er Herrn Hoffmann hinzu, um sich von ihm beraten zu lassen, wer von uns begabt genug und auch würdig sei, vor Se. Majestät zu treten. Herr Hoffmann nannte ihm zwei Namen, den von Helmut Schleckat und meinen.
Wenn es nur nach der Würdigkeit gegangen wäre, hätte Herr Dr. Latte wahrscheinlich unserem Primus Schleckat den Vorrang gegeben. Auch seine Aussprache bei Lese- und Vortragsproben war besser als meine, nur hatte er eine Art, Vokale und Konsonanten so überdeutlich zu artikulieren und diese Artikulation durch Mundbewegungen zu unterstützen, als wünsche er, sich einem Taubstummen verständlich zu machen. Und taubstumm war unser Kaiser nun wahrhaftig nicht. Herrn Dr. Latte gefiel mein lebhafterer, wenn auch nicht so deutlich artikulierter Vortrag besser, und so wurde ich dazu bestimmt, vor Sr. Majestät zu erscheinen.
Es war bekannt, daß der Kaiser, wie schon sein Ahnherr Wilhelm I., die Kornblume liebte. Und so begann das Gedicht mit dem ich ihm huldigen sollte, mit der Strophe: Unser Kaiser liebt die Blumen — denn er hat ein schlicht Gemüt — doch vor allem liebt er eine — die auf Preußens Fluren blüht. — Es hatte noch eine ganze Menge von Strophen ähnlich poetischen Inhaltes. Während des Vortrags sollte ich einen Kornblumenstrauß in der Hand halten und diesen Blumenstrauß dem Kaiser nach Beendigung des Gedichts mit einer tiefen Verbeugung überreichen. Bei den zahllosen Proben hielt ich statt der Kornblumen einen Kastanienzweig in der Hand, den Herr Dr. Latte von einem der Bäume abriß, die den Schulhof einsäumten. Am Vortrag hatte er bald nichts mehr auszusetzen, dafür um so mehr an der Verbeugung, die einmal zu eckig, ein andermal zu hastig, dann nicht ehrfurchtsvoll genug und dann zu byzantinisch ausfiel. Ich hatte es nicht leicht, es Herrn Dr. Latte recht zu machen.
Der Besuch der Majestäten — denn natürlich begleitete Kaiserin Auguste Victoria ihren Gemahl, wenn auch nicht zu unserer schlichten Schulfeier — fand an einem Septembertag statt. Es herrschte strahlendes Kaiserwetter. Der Himmel wölbte sich in makellosem Blau über der Stadt. Die Regimenter, die auf Herzogsacker
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