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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Verrichtungen, zu denen, wie man sagte, sogar der Kaiser zu Fuß gehen mußte, vermied es Großvater, sich zu erheben; er hatte eine Spezialtechnik entwickelt, die Sache liegend zu erledigen. Dabei geschah es nun gleich an meinem ersten Ferientag, daß er trotz aller Technik und langen Übung das Gleichgewicht verlor, so lang und so schwer wie er war, aus dem Bett fiel, genau auf den seinen Körpermaßen entsprechend überdimensionierten Topf aus Steingut, der dem Gewicht nicht standhielt und ihm drei Rippen eindrückte. Damit nicht genug, drangen ihm auch noch einige Splitter tief durch die Flaut, und um das Unglück voll zu machen, brach er sich bei dem Versuch, sich zu erheben, den rechten Arm. Großmutter schickte mich zum Sanitätsrat Wollschläger, der inzwischen auch recht klapprig geworden war. Er zog Großvater die Splitter aus dem Bauch, verpflasterte ihm die angebrochenen Rippen, legte ihm den Arm in Gips und empfahl ihm für die Zukunft dringend, Flüssigkeiten so von sich zu geben, wie er sie zu sich nahm, also nicht in horizontaler, sondern möglichst vertikaler Haltung.
    Der gebrochenen Rippen wegen mußte Großvater vierzehn Tage lang im Bett bleiben. Großmutter pflegte ihn mit leichter Krankenkost, Karpfen in polnischer Soße, kräftiger Hühnerbrühe, Hirn mit Ei und gebratenen Täubchen. Obwohl er nur flach atmen konnte, wollte er das Rauchen nicht lassen; so stopfte ich ihm seine langen Pfeifen, und die Zeit wurde ihm nicht lang, denn seine Freunde ließen ihn nicht im
    Stich und erschienen, als er sich wieder halbwegs auf dem Damm fühlte, Tag für Tag pünktlich um drei Uhr zum Skat. Weil er den rechten Arm aber in Gips trug und die Finger nur unter Schmerzen bewegen konnte, mußte ich ihm die Karten halten, und er spielte das Blatt mit der linken Hand aus. Dafür bekam ich pro Stunde zehn Pfennige. Etwa nach zwei Wochen, als sie schon eine Weile gespielt hatten, Herr Caspary, Herr Schlüter und Großvater — Herr Bienkowski kam selten, denn er mußte ja sein Lokal besorgen —, sagte Großvater, nachdem er bis achtundvierzig gereizt hatte, ein Kreuzspiel ohne drei an. Herr Schlüter, ein pensionierter Forstmann, überlegte nicht lange, sondern knallte den Handrücken gegen seinen Kartenfächer und sagte: »Nur mit einer Spritze, Heinrich!« — Großvater starrte in seine Karten und stand vor einer schweren Entscheidung. Er hatte mit dem Karo-Buben sieben Trümpfe in der Hand und wußte nach dem Contra, daß sein Freund Schlüter drei Buben und den Kreuz-König im Blatt hielt. »Na, los, Opa«, sagte ich, »gib ihm Re!«
    »Der Bengel ist verrückt«, brummte er, aber dann, sich ermannend, schrie er laut: »Re, ihr Brüder!« und begann, mit den kleinen Kreuzen die dicken Trümpfe des Gegners abzuziehen. Bis zum achten Stich ging alles nach Wunsch, aber dann wurde die Geschichte etwas brenzlig. In dem Augenblick aber, als er die Karo-Dame ziehen wollte, fiel ich ihm in den Arm und rief: »Die Zehn, Opa, die Zehn!«, denn das As hatte Herr Caspary gleich zu Anfang auf den Kreuz-Buben von Herrn Schlüter geschmiert. Er überlegte eine Weile und dann sagte er wie betäubt: »Gottsdonner, der Lorbaß hat recht und ich gewinne das Spiel!« Herr Schlüter stach die Dame zwar noch mit seinem
    König, aber Großvater hatte zweiundsechzig Augen nach Hause gebracht. Und Herr Schlüter legte mir die Hand auf den Kopf und sagte ganz feierlich: »Heinrich, der Jung ist ein Wunderkind!« Und Herr Caspary nickte mit dem Kopf und erklärte mit seiner tiefen Baßstimme: »Heinrich, der Jung ist wahrhaftig ein Genie!« — Und schon am nächsten Tag erzählten sie es beim Frühschoppen dem Bienkowski und den anderen Stammgästen, daß ich mit neun Jahren ein Kreuzspiel ohne drei mit Contra und Re gewonnen hätte, und Großvater teilte in den letzten Ferientagen mit mir jedesmal seinen Gewinn, und ich fuhr mit fünf Mark vierzig in der Tasche nach Hause!
    Dort erwartete mich eine Überraschung. Schon lange hatte Mutter dem Vater in den Ohren gelegen, daß die Wohnung in der Ziegelstraße zu eng sei und daß sie krank würde, wenn sie noch länger in dem fürchterlichen Kabinett ohne Luft und ohne Licht schlafen müsse. Es störte sie auch, daß Frau Dalgahn im Hinterhaus ein Zimmer an einen Setzer von der Hartungschen Zeitung vermietet hatte, der jede Nacht sternhagelvoll über den Hof torkelte und schon dreimal versucht hatte, bei meinen Schwestern ins Zimmer einzusteigen. Aus Besorgnis um Mutters Gesundheit

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