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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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dann den Referendar allerdings mit Auszeichnung.
    Zu Weihnachten und bis Neujahr brachte der Ostwind aus den weiten Ebenen des Zarenreiches eine grimmige Kälte mit. In Mutters neuem Wintergarten, einer großen Glasveranda, erfroren Alpenveilchen und Stechpalmen. An Schlittschuhlaufen war nicht zu denken, und als ich allen Warnungen zum Trotz mit dem Rudi und dem Helmut Gutbrod zum Schlittenfahren nach Luisenwahl ging, kamen wir alle drei mit angefrorenen Nasen und Füßen nach Hause. Oma Gutbrod, der drei Hühner auf der Stange erfroren waren, brachte einen Eimer voll Hühnermist zu uns herüber, ein todsicheres Mittel, um dem Aufbrechen der Frostbeulen vorzubeugen. Sie hatte ihren Enkeln mit dem Hühnermist sogar die Nasen eingeschmiert. Und es war wohl dem bewährten Hausmittel zu verdanken, daß auch ich ohne Schaden davonkam.
    Für die Silvesterfeier waren wir zu Tante Minchen eingeladen. Es hatte sich so eingebürgert, daß wir ein Jahr bei ihr und das nächste Mal bei uns daheim feierten. Wir alle, vor allem aber Vater, folgten ihrer Einladung gern, denn sie war eine ausgezeichnete Köchin und besaß noch von Onkel Benjamins Lebzeiten her im Keller ein reichhaltiges Lager von Rot- und Weißweinen guter Jahrgänge. Die Kälte war so grimmig, daß Vater auf die Fahrt mit der Straßenbahn verzichtete und für uns eine Schlittendroschke bestellte — ein höchst ungewöhnlicher Anfall von Verschwendungssucht. Und er trug dem Kutscher auf, uns pünktlich um ein Uhr wieder im Königseck, wo Tante Minchen wohnte, abzuholen. Er hatte seinen schweren Fahrpelz angelegt, und Mutter schleppte einen Haufen von Wolldecken zum Schlitten hinunter, obwohl der Schlitten gegen die Kälte von unten herauf dick mit Stroh gepolstert war und auch zwei große Schaffelldecken mitführte. Aber schon während der Fahrt zum Königseck merkten wir, daß sich der scharfe Ostwind gelegt hatte und auf West zu drehen begann. Und während wir bei Tante Minchen tafelten und hinterher >Gottes Segen bei der Familie Kohn< spielten, begann es kräftiger zu wehen, und als sie gegen elf Uhr die Feuerzangenbowle ansetzte, mit der wir auf Glück und Gesundheit im Jahre 1914 anstoßen wollten, begann draußen ein richtiger Frühjahrssturm zu toben. Die Eiszapfen prasselten von den Dachrinnen aufs Pflaster herunter, und in den Abzugsrohren gluckste das Schmelzwasser in die Kanäle. Unser Kutscher holte uns pünktlich um ein Uhr ab und brachte uns durch die stürmische Nacht, in der es viele Verletzte gab, glücklich nach Hause. In den meisten Fenstern war das Licht schon erloschen, um so mehr wunderten wir uns, daß es in unserem Hause noch recht munter herzugehen schien, was bei dem hohen Alter unserer Nachbarn einigermaßen erstaunlich war. Der alte Musikprofessor mit seinen Damen, Frau und Schwägerin, und auch Onkel Fritz und Tante Emilie standen sogar vor dem Haus auf der Straße und schienen unser Kommen ungeduldig zu erwarten.
    »Da muß doch etwas passiert sein...«, sagte Mutter ahnungsvoll. Was geschehen war, hörten wir, ehe wir aus dem Schlitten stiegen.
    »Um Himmels willen!« rief uns der Professor entgegen, »kommen Sie schnell, bei Ihnen in der Wohnung ist ein Wasserrohr geplatzt! Bei uns kommt das Wasser in allen Zimmern durch die Decke!«
    Vater und Ernst stürmten die Treppe empor. Im Treppenhaus rieselte ihnen ein munterer Bach entgegen, dessen Quelle tatsächlich hinter unserer Wohnungstür zu liegen schien. Sie hatten Mühe, die Tür gegen die andrängende Wasserflut zu öffnen, und als sie endlich offen stand, da kamen ihnen aus dem Salon die hübschen, nie benutzten Fußbänkchen der roten Plüschgarnitur entgegengeschwommen und schossen wie kleine Schiffe in den Strudeln eines Kataraktes die Treppe hinab. Es war fürchterlich. Der ganze, zur Straße gelegene Trakt der Wohnung, vor allem unser prächtiger Salon, das Eßzimmer und das Zimmer meiner Schwestern, stand knöchelhoch unter Wasser. Die eigentliche Quelle aber schien sich im Bad oder in der Küche zu befinden, denn von dort strömte das Wasser uns in einem dicken Schwall entgegen. Es gab keinen Zweifel, irgendwo hatte es bei dem plötzlichen Temperaturumschwung einen Rohrbruch gegeben. Aber wo? Während Ernst nach der Ursache des Schadens suchte, Mutter mit den Tränen kämpfte und die beiden Mädchen durch die Fluten wateten, um in ihrem Zimmer zu retten, was es noch zu retten gab, rannte Vater zum Feuermelder, schlug das Glas ein und hielt den Daumen solange auf dem

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