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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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und um die Ehre seiner Töchter bangend sah Vater sich veranlaßt, sich nach einer neuen Wohnung umzusehen, und er hatte schließlich eine gefunden, deren Mietpreis seine finanziellen Verhältnisse allerdings ein wenig überstieg. Sie lag in der Tiergartenstraße, enthielt sechs große Zimmer und einen Wintergarten im ersten Stockwerk, und dazu gehörte noch ein Turmzimmer, das mein Bruder sofort für sich in Beschlag nahm. Ja, das Haus besaß einen mit blauem Schiefer gedeckten Eckturm, dessen Pendant an der anderen Seite des Hauses stand. Das Ganze machte einen hochherrschaftlichen Eindruck, vor allem durch eine parkähnliche Anlage auf der anderen Straßenseite, und auch durch die Worte, die über der Eingangstür in einem schildähnlichen Gebilde aus Gips standen: MEIN HEIM IST MEINE BURG. Und die Wohnung besaß nicht nur ein Badezimmer und ein richtiges Spülklosett, sie hatte auch in allen Räumen elektrisches Licht. Wir alle waren hell begeistert.
    Über uns wohnte ein Kriminalkommissar, den ich mit Bewunderung und Ehrfurcht betrachtete, denn ich begann mich nach der Lektüre einer Heftserie mit dem Titel >Nat Pinkerton, der König der Detektive< brennend für Kriminalgeschichten zu interessieren. Die Wohnung im Parterre gehörte einem alten Musikprofessor vom Konservatorium, dem weiße Haare bis auf die Schultern fielen und der mit einer großen Warze auf der Wange nach Meinung meiner musikverständigen Schwestern genau wie Franz Liszt aussah. Rechts unten auf der anderen Seite des Treppenhauses lebten Onkel Fritz und Tante Emilie, ein Bruder und eine Schwester von Großmutter. Und das war das einzige, was den Eltern an der neuen Wohnung nicht ganz zu behagen schien, denn sie standen zu dieser Verwandtschaft in einem kühlen Verhältnis. Es muß da einmal vor Jahren für Vater eine prekäre Situation gegeben haben, in der er sich an Onkel Fritz, der für wohlhabend galt, gewendet hatte und abschlägig beschieden worden war.
    Dieser Onkel Fritz — eigentlich mein Großonkel — war Major a. D. und hatte unter dem Feldmarschall Waldersee den Chinafeldzug mitgemacht, aber dort scheint ihm etwas Strategisches mißlungen zu sein, so daß er an der Majorsecke scheiterte und in Pension ging. Im allerengsten Familienkreise munkelte man auch, daß er ganz China ausgeraubt habe und aus diesem Grunde verabschiedet worden sei. Aber das rührte wohl daher, daß er seine Wohnung wie ein Museum für chinesische Kunst eingerichtet hatte, mit kostbaren Teppichen, riesigen Porzellanvasen, gobelinartigen Wandbehängen aus gelber Seide mit Blumen, Vögeln, Affen und sonstigem Getier bestickt, und Glasvitrinen, die altertümliches Porzellan und allerlei zierliches Schnitzwerk aus Jade und Elfenbein enthielten. Wie er es geschafft hatte, alle diese Dinge von beträchtlichem Wert während des Boxeraufstandes nach Deutschland transportieren zu lassen, blieb sein Geheimnis. Tante Emilie, die ihm die Wirtschaft führte, erinnerte in nichts an Großmutter; sie war eine säuerliche alte Jungfer, der zudem eine Facialis die linke Gesichtshälfte gelähmt hatte, so daß Auge und Mundwinkel tief herabhingen. Eine Schönheit war sie wirklich nicht. Um so besser sah er aus. Zwar war er ein Mann von kleiner Statur, aber dennoch eine beeindruckende Erscheinung, immer wie aus dem Ei gepellt, mit einem scharf geschnittenen Gesicht, schneeweißem, vollem Haar, energischem Gang und straffer, militärischer Haltung. Man sah ihn oft am Südfenster sitzen, wo er sich von der Sonne bräunen ließ; sommers und winters hatte er eine Hautfarbe, als käme er gerade von einer Safari zurück. Er war ein leidenschaftlicher Jäger und hatte unter den Gutsbesitzern der Provinz viele Freunde, die ihn oft zur Jagd einluden. —
    In dem neuen Haus in der Tiergartenstraße wohnten nur ältere Leute, und die Ehe des Kriminalkommissars war auch kinderlos geblieben. So mußte ich mir neue Freunde in der Nachbarschaft suchen, und fand sie auch bald. Es waren zwei Brüder, Rudi und Helmut Gutbrod, die bei ihren Großeltern, dem Opa und der Oma Gutbrod, lebten. Sie kamen aus Berlin, wo ihr Vater ein Möbelgeschäft besaß. Ihre Mutter war gestorben, als der jüngere Helmut gerade ins schulpflichtige Alter kam, und da ihr Vater sein Geschäft nicht aufgeben konnte und für die Betreuung seiner Söhne nicht genug Zeit fand, überließ er ihre Erziehung seinen Eltern. Es war die gleiche Erziehung, die ich bei meinen Großeltern in Lyck gefunden hätte: die beiden Jungen

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