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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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durften tun, was sie wollten. Opa Gutbrod, ein kleiner Mann, den man nie ohne ein schwarzes, besticktes Samtkäppchen auf dem kahlen Schädel sah, lebte in guten Verhältnissen. Ihm gehörten drei stattliche Mietshäuser in der Hermannallee und ein geräumiges Gartenhaus, das er mit Oma Gutbrod und den beiden Enkeln bewohnte. Hinter den Mietshäusern aber lag, mehr als hundertfünfzig Meter lang und etwa fünfzig Meter breit, ein Obstgarten, und das war nun wirklich die erfreulichste Seite an der neuen Freundschaft.
    Opa Gutbrod war von Beruf Gärtner und hatte die Häuser erst gebaut, als ihm die Gartenarbeit zu mühsam wurde. Die Pflege der Obstbäume aber war sein Steckenpferd geworden, und davon verstand er schon von Berufs wegen eine Menge. Er pfropfte und okulierte unermüdlich neue Apfel- und Birnensorten auf die alten Stämme, zuweilen drei verschiedene Sorten auf einen Baum, und heimste mit seinen Erzeugnissen auf den Ausstellungen des Gartenbauvereins Hufen alljährlich als Preise Pokale, Diplome und Medaillen ein. Das Fallobst überließ er uns, und auch zwei Spillenbäume mit kleinen, gelben, pflaumen ähnlichen zuckersüßen Früchten; diese durften wir schütteln,
    solange noch eine Spille am Baum hing. Anderes Obst zu pflücken war uns streng verboten, und ich habe den Opa Gutbrod nur einmal richtig wütend gesehen, als wir ihm eine Birne stahlen, die er gegen Vogel- und Insektenfraß mit einem Schleier aus grüner Gaze geschützt hatte. Es war eine neue Züchtung und ein Einzelstück dazu, denn die anderen Fruchtansätze hatte er zeitig entfernt, um alle Kraft und Süße in dieses Unikum strömen zu lassen; sie war prächtig gediehen, auf der Sonnenseite purpurrot und auf der Schattenseite goldgelb, eine Birne von der Größe eines Kinderkopfes. Er hätte mit ihr auf der Ausstellung ganz gewiß den ersten Preis gewonnen. Als er den Frevel entdeckte, stieß er ein richtiges Wutgeheul aus, griff nach einem dicken Knüppel und jagte uns nach, aber wir hatten längere und schnellere Beine als er. Wir bezweifelten auch sehr, ob er den Silberpokal bekommen hätte, auf den er sich Hoffnung gemacht hatte, denn im Geschmack hielt die Riesenbirne keinen Vergleich mit seinen Honigbirnen oder mit der Guten Grauen aus.
    »So kenn ick den Ollen jarnich«, sagte der Rudi, als wir uns vor Opa Gutbrods Knüppel über den Zaun hinweg in Sicherheit gebracht hatten, »der waa ja richtich jiftich.« Die Brüder Gutbrod hatten aus Berlin nicht nur die hurtige Sprache, sondern auch ein neues Spiel mitgebracht, das besonders der Rudi, drei Jahre älter als ich, mit Hingabe betrieb. Er versuchte es auch mir beizubringen, aber vorläufig ohne den geringsten Erfolg.
    »Ick kann det nich vastehn«, sagte er kopfschüttelnd, »wenn ick an mei’m Zippel reibe, det jibt richtich herrliche Jefühle.«
    Das Weihnachtsfest in der neuen Wohnung fiel ziemlich mager aus. Sogar in der Speisekammer herrschte nicht die überquellende Fülle früherer Jahre. Nur Pfefferkuchen und Pfeffernüsse gab es in reichlicher Menge. Nun, Mutter hatte für die neue Wohnung kostspielige Anschaffungen machen müssen, Vorhänge für die großen Fenster, einen neuen Teppich für den Salon, und für jedes Zimmer eine elektrische Lampe. Jetzt war es nicht mehr mein Bruder Ernst, sondern die neue Wohnung, von der Vater unter Seufzen und Stöhnen behauptete, sie fräße ihm die letzten Haare vom Kopf. Er trug zwar noch seinen braunen Mittelscheitel, aber die Kopfhaut schimmerte sehr hell durch die spärlich gewordenen Haare. Die letzte lautstarke Auseinandersetzung zwischen Vater und Ernst hatte es vor einem halben Jahr gegeben, als Ernst durch das Referendarexamen gefallen war — unschuldig, wie er behauptete, als Opfer eines üblen Kneipenscherzes. Um seine Examensnervosität zu dämpfen, hatte er einen Pharmaziestudenten aus seiner Verbindung um ein Beruhigungsmittel gebeten. Ob der ihn nun falsch verstanden oder nicht gewußt hatte, daß es tatsächlich nur ein Nervenberuhigungsmittel sein sollte, oder ob er im Studium der Pharmazie noch nicht weit genug vorangeschritten war und sich im Medikament vergriffen hatte — auf jeden Fall war mein Bruder Ernst nach der Einnahme von zwei oder drei Tabletten mitten in der großen schriftlichen Arbeit fest eingeschlafen und trotz aller Bemühungen seiner Kommilitonen und des Aufsicht führenden Professors nicht aus seinem Tiefschlaf erwacht. Er mußte, was Vater tief erbitterte, ein Semester drangeben, und bestand

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