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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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mitgesüffelt und sich eingebildet hatte, besonders schlau zu sein, wenn es die fehlende Menge durch Wasser ersetzte. Selbstverständlich entdeckte er den Schwindel sofort, und seinen guten Schnaps zu taufen, war in seinen Augen fast ein ebenso strafwürdiges Verbrechen wie Majestätsbeleidigung. Um Strafe und erzieherische Maßnahmen zu verbinden, träufelte er in eine Flasche, die er recht verführerisch auf die Anrichte stellte, einige Tropfen Krotonöl, dessen abführende Wirkung rasch und verheerend ist. Natürlich merkte Vater auch in meinem Falle bald, wer die diebische Elster war, die es auf seine Zigarren abgesehen hatte. Als ich nach dem Mittagessen aus der Wohnung verschwinden wollte, winkte er mich zu sich heran, filzte mich wie ein gelernter Zöllner und fand in meiner Bluse zwei Zigarren, die für einen meiner Schaffnerfreunde bestimmt waren. Vater aber zog aus dem Diebstahl ganz andere Schlußfolgerungen.
    »Was sagst du dazu, Lina?« fragte er meine fassungslose Mutter, »der Lümmel raucht! Mit neun Jahren! Der ist ja noch schlimmer als Ernst! Der fing wenigstens erst mit vierzehn an, mir meine Zigarren zu klauen...«
    Wenn ich ihm gestanden hätte, für wen seine Zigarren bestimmt waren, wäre ich nicht nur meine Monatskarte losgeworden. Wie ich Vater in seinem strengen Rechtsempfinden kannte, hätte er womöglich noch gegen meine Gönner bei der Straßenbahnoberverwaltung Anzeige wegen unverantwortlichen Leichtsinns, Transport- und Personengefährdung und eines halben Dutzends anderer Delikte erstattet. Er prüfte die beiden Zigarren, die er bei mir gefunden hatte, sorgfältig, ob ihre Deckblätter in meiner Bluse keinen Schaden genommen hatten und fand an ihnen nichts auszusetzen. Er schnitt die Spitzen mit seinem Federmesser ab, holte Zündhölzer aus der Tasche und sagte ganz freundlich und ruhig: »Du rauchst also, Jungchen... Na schön, dann wollen wir beide uns einmal eine gute Zigarre ins Gesicht stecken.«
    In meiner Erinnerung stieg ein Bild auf, wie er mir vor Jahren mit der gleichen freundlichen Stimme in der Waldschenke zu Sybba in aller Ruhe mehrere Portionen Bonbons auf den Hintern ausgeteilt hatte, und ich spürte, wie sich mein rückwärtiger Körperteil zu spannen begann. Es war ein Irrtum, er schien einer anderen Erinnerung nachzusinnen, der Erinnerung an ein Dienstmädchen, das er durch ein probates Mittel zu Ehrlichkeit und Nüchternheit bekehrt hatte. Er ließ ein Zündholz aufflammen, setzte seine Zigarre in Brand, schob mir die andere zwischen die Lippen und sagte: »Nun zieh schon, Jungchen - oder rauchst du Zigarren lieber in der Spitze? Die kannst du auch haben, wenn du willst.«
    Ein mit getrockneten Buchen- oder Steinkleeblättern gestopftes Calumet hatten wir schon oft in der Runde von Indianern und Trappern zur Besiegelung der Blutsbrüderschaft beim Lagerfeuer kreisen lassen. Gelegentlich auch eine Zigarette. So stellte ich mich gar nicht ungeschickt an und hoffte, mit der Zigarre schon fertig zu werden. Aber wie das im Leben mit Hoffnungen so geht, sie schweben wie Seifenblasen ein Weilchen in buntem Farbenspiel dahin und zerplatzen bald, ach zu bald, kläglich. Der Aschenstreifen meiner blonden Zigarre war noch nicht so lang wie das letzte Glied meines kleinen Fingers, da spürte ich schon eine merkwürdige, ziehende Trockenheit im Munde.
    »Nun, schmeckt das Zigärrchen?« fragte Vater freundlich, »oder möchtest du lieber eine Brasil? Sie sind ein wenig kräftiger und voller im Aroma...«
    Ich wollte keine Brasil, mir genügte die Zigarre, an der ich verzweifelt sog, deren Rauch meine Augen tränen ließ, die meinen Schlund immer enger machte, und die zu Ende zu rauchen ich dennoch wild entschlossen war. Aber nein, ich brachte nicht einmal ein Viertel der Zigarre hinter mich. Plötzlich brach mir kalter Schweiß aus, das Hemd klebte am Körper, die Gesichtsfarbe bekam einen Stich ins Grüne, ich stürzte hinaus und hatte in der nächsten Stunde nur noch einen inbrünstigen Wunsch, wenigstens meine unsterbliche Seele im Leib zu behalten. Und leider blieb mir in Zukunft nichts anderes übrig, wenn ich schon an Vaters Zigarren nicht mehr heranzugehen wagte, als mir die Groschen, mit denen ich mir das Wohlwollen meiner Freunde am Führerstand der Straßenbahn erhalten mußte, aus Mutters Portemonnaie zu besorgen.

    Eigentlich hätte Mutter wissen müssen, was sie sich und uns antat, als sie Vater zum Geburtstag einen Passometer schenkte. Dieser Schrittzähler hatte

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