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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Bundesbruder meines Schwagers vollzog die Trauung. Es war sehr feierlich, und Else hauchte ihr Jawort unter Tränen. Bis auf Tante Grete und den gelähmten Onkel Karl hatte sich die ganze Verwandtschaft eingefunden. Auch Onkel Aurel und Tante Elma, die Kallinowen im letzten Jahr verlassen hatten und nun eine Apotheke in einem Vorort von Königsberg besaßen. Onkel Aurel war der einzige, der sich bei der Hochzeit betrank, schlimme Verse zitierte, die Braut mit anzüglichen Redensarten fast in Tränen ausbrechen ließ und schließlich blutend und mit einigen Splittern im Gesicht heimgefahren werden mußte, denn er war bei einem Toast auf das Brautpaar vornüber gekippt und mit der Nase auf ein Weinglas gefallen.
    Der neue Schwager hieß Richard und war Oberingenieur, ein gutaussehender und sehr gepflegter Mann, der seine Taschentücher mit einem Tropfen Juchten zu parfümieren pflegte. Daß ich ihn mit seinem Vornamen anredete, wie es unter Schwägern üblich ist, schien Else, die mich in respektvollem Abstand zu halten wünschte, nicht passend. Sie empfahl mir, ihn >Onkel Richard< zu nennen. Onkel Richard also wollte meiner Schwester auf einer stilvollen Hochzeitsreise über das Adlon in Berlin und den Weißen Hirsch in Dresden die Sehenswürdigkeiten Venedigs zeigen, aber sie kamen nur bis nach München, denn gleich in den ersten Stunden des für drei Tage geplanten Zwischenaufenthaltes im Hotel Continental fielen in Sarajewo die Schüsse, denen der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin zum Opfer fielen.
    Zwei Jahre vorher hatte der Untergang der >Titanic< die Welt und auch uns daheim in Schrecken versetzt. Mehr als tausendsechshundert Menschen waren mit einem Schiff, das ein Wunderwerk der Technik war und als unsinkbar galt, in den eisigen Fluten des Atlantik bei einem Zusammenstoß der >Titanic< mit einem Eisberg umgekommen. Ich verstand nicht ganz, warum der Tod von zwei Menschen weit mehr Aufregung und Schrecken zu verbreiten schien als jene Katastrophe, die so vielen Menschen den Tod gebracht hatte. Vater lief mit umwölkter Stirn umher und ließ düstere Prophezeiungen hören, daß es nun bald zum Krieg kommen werde. Auch mein Bruder Ernst war der Meinung, daß ein Krieg fast unvermeidbar sei, aber merkwürdigerweise schien ihn der Gedanke, als Soldat dabei sein zu dürfen, nicht im mindesten zu begeistern. Neben der Familienbibel und dem Prachtband über das Haus Hohenzollern besaßen wir ein drittes reich illustriertes Werk im Großformat; es trug den Titel >Gloria Viktoria« und behandelte die Geschichte des Krieges 1870—1871. Seine Lektüre war mir bei aller Lust am Lesen zu anstrengend, und außerdem kam ich mit den vielen französischen Namen nicht zurecht, Mars la Tour und Vionville, St. Quentin und Pontarlier, um so mehr aber hatten es mir die Illustrationen angetan, auf denen preußische Kürassiere mit ihren schweren Plempen Franzosenköpfe rollen ließen und bayerische Reiter mit äußerst dekorativen Raupenhelmen den Feind mit weiß-blau bewimpelten Lanzen vom Pferd stachen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als einen Krieg herbei, genau wie meine Freunde Rudi und Helmut Gutbrod und alle meine Klassenkameraden, und wir bedauerten nur, daß wir noch zu jung waren, um zu den Fahnen eilen zu können. Aber vielleicht hatte der liebe Gott ein Einsehen, den Krieg, wenn er schon unvermeidlich war, wenigstens so lange dauern zu lassen, daß wir noch mitmachen durften.
    Inzwischen waren die Sommerferien angebrochen, und ich war froh, aus der bedrückten und gespannten Atmosphäre herauszukommen, die daheim herrschte, denn ich durfte für die zweite Hälfte der Ferien zu den Großeltern fahren. Allerdings erst nach einem längeren Briefwechsel, denn die Großeltern schienen sich wegen der Nähe der russischen Grenze Sorgen um mich zu machen, aber Mutter meinte, die Alten wären überängstlich, denn unser Kaiser würde es nicht zulassen, daß auch nur ein einziger Russe seinen Fuß auf deutschen Boden setzen werde. Else war dabei, sich in unserer Nähe eine Wohnung einzurichten, und Mutter half ihr dabei, deshalb brachte Lotte mich zur Bahn und entließ mich mit den Ermahnungen, die ihr Mutter für mich aufgetragen hatte. Ich empfahl ihr, das Maul zu halten und sich dünnzumachen, denn erstens käme ich bald nach Quinta und zweitens wäre ich nicht das erste Mal zu den Großeltern unterwegs. Da haute sie mir noch schnell eine herunter und machte, daß sie wegkam, denn

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