Fröhliche Wiederkehr
nichts zu tun gehabt.
»Na, da bist du ja, Jungchen!« sagte Großmutter, als sie mich in die Arme schloß, aber ich merkte wohl, daß ihre Stimme nicht ganz so froh klang wie bei früheren Begrüßungen. Sie war ein bißchen schwerhörig geworden, aber der Knall der Schüsse von Sarajewo schien auch an ihr nicht unbemerkt vorübergegangen zu sein.
»Was muß das bloß für ein Mensch sein, der sich hinstellt und zwei unschuldige Menschen abknallt...«
»Gabriel Princip heißt er«, sagte Großvater, »und ist noch keine zwanzig Jahre alt!«
Das wollte ich Else schreiben, damit sie den Namen von dem Menschen kannte, der ihr die Hochzeitsreise nach Venedig verpatzt hatte...
»So so, nach Venedig wollten sie also fahren...« sagte Großvater respektvoll. Und dann mußte ich ihnen lang und breit von Elses Hochzeit berichten, und was für ein Mensch der neue Schwager sei, und als ich ihnen erzählte, daß Onkel Aurel eine Rede halten wollte und dabei vor lauter Rausch auf den Tisch gefallen war und sich an einem Weinglas die Nase zerschnitten hatte, da machte Großmutter wieder einmal tz tz tz und warf ihrem Heinrich einen langen Blick zu. — Aber nicht nur die Großeltern waren nicht so herzlich und heiter wie früher, ganz Lyck schien sich verändert zu haben. Die Frühschoppen bei Bienkowski fielen aus, denn das Lokal war geschlossen, weil Herr Bienkowski einen Schlaganfall erlitten hatte und rechtsseitig gelähmt war. Überall herrschte Unruhe und Nervosität, und als ich meine alten Freunde Hannchen und Fritz Grigat besuchte, da war Frau Grigat dabei, einen großen Reisekorb mit Betten und Kleidern zu füllen, und fragte mich, ob denn meine Eltern von allen guten Geistern verlassen seien, daß sie mich zu den Großeltern geschickt hätten. Auch die Herren Becker und Jacoby, bei denen Großmutter mir zwei Nachthemden kaufte, weil Mutter meine Nachthemden einzupacken vergessen hatte, machten bedenkliche Gesichter, denn seit Sarajewo hatte sich kein russischer Offizier mehr in ihrem Geschäft blicken lassen, und ein betrunkener Infanteriehauptmann, den Herr Becker bei einem kurzen Besuch in Grodnow getroffen hatte, hatte dunkle Andeutungen gemacht, er solle den Sekt nur kalt stellen und sich darauf verlassen, daß er bald getrunken würde. Es tröstete mich, daß sich wenigstens Herr Cabalzar von der allgemeinen Unruhe nicht anstecken ließ, die Liebesknochen und Napoleonschnitten aus seiner Backstube schmeckten genauso süß wie in früheren Tagen. Aber auf dem Heimweg erzählte Großvater seinem Krümelchen, nun würde auch der Cabalzar verrückt, denn er hätte einen Teil seines Kellers zugemauert und den größten Teil seiner Vorräte an Spirituosen versteckt. Und dazu hätte er gesagt, nüchterne Russen wären schon schlimm genug, besoffen aber wären sie direkt lebensgefährlich. Großmutter meinte dazu, daß Frauen in ihrem Alter wohl auch besoffene Russen nicht gefährlich werden würden, aber sie sagte es mit sehr nachdenklichem Gesicht, und einige Tage darauf mußte ich ihr helfen, einen großen Überseekoffer, den Onkel Walter bei ihnen zurückgelassen hatte, vom Boden zu holen. Großvater brummte zwar, daß er sie für gescheiter gehalten hätte, aber sie verstaute weiter einiges Geschirr und Wäschestücke und Kleider in dem Koffer und sagte, sie täte es ja nur für den Fall eines Falles, viel mehr jedoch beunruhige es sie, daß ich noch immer in Lyck sei, und ob es nicht am gescheitesten wäre, einen Brief nach Königsberg zu schreiben, daß man mich dort vom Bahnhof abholen solle. Aber Großvater gebrauchte die gleichen Worte, die ich aus Mutters Mund schon zu Hause gehört hatte, ob sie damit etwa sagen wolle, daß der Kaiser es zulassen werde, daß auch nur ein einziger Russe über die Grenze kommen werde! Nein, nein das wollte sie damit natürlich nicht sagen! Und so dämpfte Großvater mit seinem Vertrauen auf den Kaiser in Berlin Großmutters Sorgen um meine Gegenwart.
Aber als dann Großvater eines Morgens — es muß wohl der Tag der Mobilmachung gewesen sein — mit mir in einer Eile, die ich ihm nie zugetraut hätte, zum Bahnhof lief, um mich auch ohne briefliche Ankündigung von meinem Kommen zu den Eltern zurückzuschicken, da war der Verkehr für alle Zivilpersonen gesperrt, und was noch an Zügen den Bahnhof verließ, war dem Abtransport der in Lyck stationierten Regimenter Vorbehalten, die sich in der Festung Lötzen/Boyen oder dahinter formieren sollten, um den ersten Ansturm des
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