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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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auszustehen habe. Hinterher spendierte mir Großvater zwei Negerküsse, für jede Backpfeife einen.
    Als die Russen dann kamen, geschah das fast ohne Lärm und ohne viel Geschrei. Am Vorabend hörte man Schüsse und manchmal auch aus weiter Ferne das Grollen von Geschützen. In der Nacht rötete sich der Himmel von Bränden, einige Bauernhöfe und Scheunen mit den Erntevorräten gingen in Flammen auf, und in den Morgenstunden, noch vor Tagesanbruch, rumpelten Geschütze und schwere Munitionstransporte durch die Straßen, und über das Pflaster dröhnten Pferdehufe und der Marschtritt von endlosen Infanteriekolonnen. Großvater, der einzige Mann im Hause, der Erfahrungen aus dem siebziger Krieg besaß, hatte alle Bewohner in den Keller beordert. Es waren etwa ein Dutzend Menschen, alles ältere Männer und Frauen, die im Schein einer Kerze auf Kisten und Kasten hockend, zitternd und um ihre Schicksal bangend auf den Morgen warteten. Großvaters Schatten stand groß und schwer vor der Kellertür, ein grimmiger Posten, dem man ansah, daß der Weg zu seinem Krümelchen nur über seine Leiche führen würde. Allmählich erstarben draußen die Marschgeräusche, auch das Geklapper von Hufen wurde seltener, und dann, inzwischen war es längst Tag geworden, hörten wir, kurz nachdem es vom Kirchturm sechs Uhr geschlagen hatte, in kurzen Zeitabständen immer das gleiche Trompetensignal. Großvater spitzte die Ohren... »Das kann doch nicht wahr sein«, murmelte er, »da bläst doch ein Kerl wahrhaftig unser deutsches Achtung-Signal! Da soll sich ein Mensch auskennen, was das zu bedeuten hat.«
    »Soll ich mal nachsehen?« fragte ich tatendurstig. »Untersteh dich, Bürschchen!« sagte er drohend. Und zu Großmutter gewandt: »Halt bloß den Lorbaß fest! Ich werde selber nachsehen, was draußen los ist.«
    Er schlich zur Haustür und spähte durch einen schmalen Spalt auf die Straße hinaus. Jetzt hörten wir das Trompetensignal lauter, als würde es ganz in der Nähe unseres Hauses geblasen, und wir sahen, daß Großvater die Tür weiter öffnete und die Hand muschelförmig hinter das Ohr legte, um sich nichts von dem entgehen zu lassen, was draußen auf der Straße ein Russe, der den Trompeter begleitete, mit lauter Stimme von einem Zettel ablas. Nach einer kleinen Weile drückte Großvater die Haustür ins Schloß und bedeutete uns, zu ihm heraufzukommen. Die Nachbarn stiegen steifbeinig und mit übernächtigen, grauen Gesichtern die Kellerstiege empor und scharten sich in dem engen Hausflur um Großvater. »Nun red schon, Heinrich! Was ist los?« fragte Großmutter angstvoll.
    Er schnupfte und fuhr sich über die Augen: »Die russische Narewarmee unter dem General Samsanow hat die Stadt ohne Kampf eingenommen und befindet sich auf dem Vormarsch nach Westen. Niemand braucht sich um sein Leben und um sein Eigentum Sorgen zu machen. Bis zur Durchgabe neuer Befehle hat jedermann im Hause zu bleiben. Die Haustüren und Wohnungstüren dürfen nicht verschlossen werden...« Er schnupfte noch einmal auf und sagte mit seltsam heiserer und gebrochener Stimme: »Das ist alles, Leute, das ist alles...«
    Die Frauen schluchzten und die Männer ließen die Köpfe hängen. Niemand konnte verstehen, daß die Stadt dem Feind in die Hände gefallen war, ohne daß es auch nur den geringsten Widerstand gegeben hatte. Auch Großmutter regte sich furchtbar auf und sagte, das hätte sie nun doch nie im Leben geglaubt, daß der Kaiser die Stadt den Russen so ganz ohne Schuß und Schwertstreich überlassen würde, aber Großvater meinte, das wäre eben höhere Strategie, und davon verstehe sie nichts und tue gut daran, den Schnabel zu halten. Das schien Großmutter gar nicht gern zu hören, sie mahlte die zahnlosen Kiefer ein Weilchen gegeneinander, aber dann preßte sie die Lippen so fest zusammen, daß ihr Kinn fast die Nasenspitze berührte. Und sie machte den Mund bis zum Abend nicht mehr auf, und da auch nur zum Essen.
    Das Ausgangsverbot wurde schon in den frühen Vormittagsstunden des nächsten Tages aufgehoben. Der Stadtkommandant im Range eines Obersten ließ seine Anordnungen durch Maueranschläge in russischer und deutscher Sprache bekannt machen. Die Bürger durften sich innerhalb des Stadtgebietes am Tage frei bewegen, nur von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens hatte sich jeder im Hause aufzuhalten. Übergriffe russischer Soldaten und etwaige Plünderungen waren dem Stadtkommandanten sofort zu melden und wurden, ob von Zivilisten

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