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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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1945 nahm der Obergefreite das Lager im Handstreich. Mit einem Elektrokarren, wie sie zum Gepäcktransport am Bahnhof verwendet wurden, fuhr er in die flüssige Schatzkammer. Hinten auf der Ladeplattform klirrten leise leere Flaschen. Freund Dieter ging generalstabsmäßig vor. Um die Bestände in großem Stil lichten zu können, galt es den Schein zu wahren, als sei noch alles da.
    Mit der altgedienten Obergefreiten eigenen Seelenruhe entkorkte er Flasche um Flasche, füllte den Inhalt um und legte das staubige Original mit dem vielversprechenden Etikett neu bekorkt an seinen Platz im Regal zurück. Seine gründliche Arbeit linderte die Not. Tage- und nächtelang dämmerte der gesamte Freundeskreis, aufs edelste trunken, dem Endsieg entgegen.
    Dann endlich!
    In Zeitlupe tasteten sich die Amerikaner an die zerstörte Stadt heran. Nicht schneller erfuhren die Befreiten die neue Freiheit. Zuerst war alles verboten. Niemand durfte das Stadtgebiet verlassen, es gab weder Post noch Telefon.
    Wie mag es um die Befreiungshalle stehen? fragte sich Tino Walz. Sind die Dekorteile unversehrt geblieben? Er beschloß, so bald wie möglich nachzusehen. Sein Schweizer Paß wirkte beschleunigend. Bereits am 7. Mai, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation, hatte er eine schriftliche Fahrgenehmigung und Benzin. Die Formalitäten, sich um das ausgelagerte Gut überhaupt kümmern zu dürfen, dauerten allerdings länger. Sechs Wochen nach dem Einmarsch konnte er schließlich starten.
    Es war ein strahlender Julitag. Mit jedem Kilometer wuchs seine merkwürdige Unruhe. In Kehlheim fuhr er zuerst zum Wärter. Stand das Haus? Lebte der Mann noch? Wo hatte er die Schlüssel?
    Das Haus stand, der Wärter war da. Erleichterung, dann der Schock. Die örtliche Militärregierung hatte ihm untersagt, seinen Dienst in der Befreiungshalle weiterhin zu versehen. Weil er Parteigenosse gewesen war.
    Es gibt Fügungen, die zu dumm sind, um darauf gefaßt zu sein. Die unersetzlichen Paneelen , seit Wochen ungelüftet! In welchem Zustand mochten sie sich befinden? Eine Kreuz- und Querfahrt zu amerikanischen Dienststellen begann, von einem Unzuständigen zum nächsten. Dabei fiel immer wieder ein Name: Captain Shuffie. Er sei der richtige Mann. Tino Walz fand ihn.
    Der Captain war der Richtige. Er zeigte Verständnis und konnte ein Machtwort sprechen: Der kleine PG durfte die Keller aufschließen.
    Mit überhitztem Motor rasten sie zur Befreiungshalle hinauf, als gelte es, ein Bergrennen zu gewinnen. Gleich bei der ersten Tür bestätigte modriger Geruch die ungute Vorahnung. Was sie fanden, übertraf jedoch die schlimmsten Befürchtungen. Ordentlich aufgereiht standen die einzelnen Teile an den Kellerwänden, jedes Brett mit dem unteren Ende in einer breiigen, übelriechenden Masse. Der Knochenleim, der die Schnitzereien zusammenhielt, hatte sich aufgelöst. Das gesamte Dekor war samt der Bemalung wie dicke Suppe hinuntergelaufen. Nicht mehr zu erkennen, lagen die einzelnen Teile in dem Brei.
    Wie sollte man dieses gigantische Puzzle je wieder richtig zusammensetzen?
    Entmutigt verließen sie den Ruhmestempel. Es hatte keinen Sinn mehr, noch irgend etwas zu unternehmen. Zufällig entdeckte das mit Zerstörungen und aussichtslosen Rettungsversuchen vertraute Architektenauge auf der anderen Seite der Donau eine Zementfabrik. Der Anblick genügte, um eine Idee zu zünden. Wie der Teufel fuhren sie hinunter und hinüber.
    Richtig — da lag, was er suchte: Papiersäcke, gestapelt, um mit Zement gefüllt zu werden. Doch das Werk arbeitete nicht. Was sie verstauen konnten, nahmen sie mit, rasten wieder zurück und machten sich an die Arbeit. Jedes Brett des Paneeles bekam einen Sack für sich; die dazugehörigen Schnitzteile wurden aus dem Brei gefischt und beigegeben. Das würde spätere Sortierarbeit wesentlich erleichtern. Falls es je dazu kommen sollte, würde man wissen, was wohin gehörte und konnte die Teile nach gründlichem Trocknen neu aufleimen.
    Captain Shuffie, gewissermaßen im Schnellkurs zum Kunstsachverständigen gereift, sprach ein weiteres Machtwort: Er setzte den kleinen PG wieder in sein Amt sein.
    In den Säcken trockneten die Dekorationsstücke wie erwartet ab. Noch im selben Jahr wurden sie in die Obhut der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung übergeben und nach Schloß Schleißheim gebracht. Diesmal ohne Mithilfe des seetüchtigen Obergefreiten. Der wollte jetzt Architekt werden.
    Die andere Hälfte mit dem undramatischen

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