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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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vom Instinkt angetrieben, wie bei der Balz. Höflichkeit diente aber auch als Waffe, um Vertrauen zu schaffen. Wir erzeugten Magnetismus durch Zurückhaltung. Denn war nicht die Zitadelle erobert, blieb die gesamte Umgebung tabu.
    Der Trieb trat, wie bei Vater Zeus, in mancherlei Gestalt auf. Zum Beispiel als Beschützertrieb. Im Gedränge oder auf der Tanzfläche umschloß sein starker Arm, was er sich unter vier Augen noch nicht traute. Ein Korb hätte ihn auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen, wie bei manchen Brettspielen. Überhaupt ermöglichte vor allem der Tanz wonnesame Berührungspunkte, beziehungsweise Berührung von Punkten, rein zufällig, im Überschwang rhythmisierter Daseinsfreude.
    Erfahrene Tänzer nahmen die noch unbekannte Akupressur vorweg. Beim ständigen Wechsel zwischen Schleudergriffen und Wangennähe ertasteten sie sich erogene Stellen auf Mädchenrücken und stimulierten sie, dabei arglos die ausgezeichnete Kapelle lobend. Besonderes Raffinement verriet die Rolle des psychologischen Beobachters. Scheinbar höchst amüsiert machte der auf ein anderes Paar aufmerksam, dem er ansehe, wohin sein Gebaren treibe. Nicht daß er das Gesehene an der Partnerin exerzierte! Kein Nachahmungstrieb. Im Gegenteil, er fand die beiden undezent und beschied sich mit schelmisch-vertraulicher Mitteilung: beim Tanzen sehe man alles. So wie zwei tanzen, so seien sie auch im Bett. Und hüpfte arglosheiter dazu.
    Blieb die Belehrte bei der nächsten Wangenähe nur eine Sekunde länger, bestätigte sie damit ihren Lerneifer. Und der ließ sich fördern. Etwa indem er die Arme sinken ließ und nur sagte: »Führ du mal. Ich möchte deinen wahren Rhythmus kennenlernen .«
    Nun durfte sie müssen, was sie wollte und konnte ihn mit Zaghaftigkeit zu gesteigerter Temperamentsentfaltung anspornen.
    Schlechte Tänzer kommentierten solche Showeinlagen mit Ironie. Sie könnten das weder beurteilen noch nachmachen, sie hätten andere Vorzüge. Und da sie sich nicht weiter äußerten, antworteten ihre Partnerinnen in lockender Körpersprache. Man muß ja nicht dauernd reden beim Tanz.
    Die künstlichen Hindernisse auf dem Weg zueinander überstiegen selbst die natürlichen des Nachkriegsalltags. Hier wie dort galt es, Konkurrenz auszuschalten. Der Stärkere mußte nicht zwangsläufig der Schnellere sein. Auf die Einfälle kam es an. Nebenbuhler mit Ideen zu besiegen, erhöhte die Freude am sinnlichen Spiel, steigerte das Selbstvertrauen. Manchmal beglückte die Strategie mehr als der Preis, den man nachher dafür bekam.
    Nicht minder einfallsreich wahrten die Mädchen ihren Ruf. Hinter Engelsmienen zeigten sie sich oft erstaunlich flexibel, ja schikanös. Sie gewährten Vergünstigungen und kündigten sie wieder, bremsten plötzlich ab, wo man auf freie Fahrt gehofft hatte.
    »Bitte nicht. Es ist doch alles dein !«
    Mit dieser Logik grübelte man in schlaflosen Nächten weiter, wie die Prüfung als stürmischer Liebhaber doch noch zu bestehen sei.
    Vertraute man sich einem Freund an, geschah auch das ziemlich etepetete. Körperliche Details wurden in unserer Clique dabei nicht besprochen. Verbal keusch wie Minnesänger, vermieden wir das zotige Gerede von Kasernenhöfen. Etwas vom Gipfelinstinkt des Bergsteigers erfüllte uns. Wir wollten Schwierigkeiten überwinden, zu Höchstleistungen gezwungen werden. Ohne Zögern sind wir an Fassaden hochgeklettert, haben uns über Dächer abgeseilt, wenn die Tür versperrt war oder die Diele knarzte. In Arbeitskleidung, mit geliehenem Meßgerät, haben wir uns als Angestellte der Stadtwerke ausgegeben, um in ihrer Wohnung nach einem wichtigen Rohr zu suchen, und es genau in ihrem Zimmer zu finden. Mit Schwarzmarktwaren haben wir Eltern korrumpiert, und selbst vor Verlobungen nicht zurückgeschreckt, weil man dann ganz offiziell selbst zu Stunden kommen und gehen konnte, in denen Herrenbesuche normalerweise untersagt waren. Obendrein wurde die Option opulent gefeiert.
    Wir waren listenreich und romantisch zugleich. Gewiß ging mancher Sieg mehr auf bizarre Einfälle als auf die eigene Unwiderstehlichkeit zurück. Auch auf männliche Sturheit. Ständiges nein machte manche Prüde müde, denn es befriedigte nicht einmal die Neugier. Es gelang dann doch, die beiderseitigen Wünsche zu koordinieren, geschehen zu lassen, was Erziehung verhindern sollte. Relikt aus einer Zeit, die schon vor dem letzten Schuß zu Ende gegangen war, erschwerte sie das Intimleben der Jugend nach eigener Logik. Die

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