Fröhliche Zeiten
Vergangenheit zu bewahren, den Kronschatz vor allem. Da hatte sich seit dem Jahr 800 allerhand angesammelt: ein fränkisches Zeremonienschwert, ein Evangeliar, Kronen, Zepter und Geschmeide von unermeßlichem Wert.
Nun ist es mit den Schätzen ein Kreuz. Immer muß man sie bewachen oder verstecken. Auch und gerade vor den jeweiligen Machthabern. Zumal wenn sie Geld brauchen wie in Zeiten des Krieges. Und danach.
Der umsichtige Museumsdirektor tat sein Bestes. Immer wieder verlagerte er den Schatz. Aus den Kellern der Residenz in München nach Schloß Herrenchiemsee und wieder zurück. Im Jahre 1943, als das Kriegsglück die Seiten wechselte, erschien ihm die Befreiungshalle bei Kelheim hoch über der Donau ein besseres Versteck zu sein. Dort lagerten, wie erwähnt, bereits andere Kostbarkeiten.
Nur wenige wußten damals, wo sich der Kronschatz befand. Unter ihnen, man staune, ein Mann von anderem Stamme, ein Schweizer: der leitende Architekt in der Residenz zu München, Tino Walz. Doch da selbst der oberste Machthaber einem anderen Stamm angehörte — er war, wie man weiß, Österreicher — fiel das trotz des allgemeinen nordischen Rasserummels nicht auf. Nun besagte ein Befehl des Österreichers, daß bei Annäherung des Feindes Nationalheiligtümer zu sprengen seien. Das Tannenberg-Denkmal, ein Ruhmestempel aus dem Ersten Weltkrieg, lag bereits in Trümmern, die Front bröckelte weiter.
Architekt und Museumsdirektor hielten die Befreiungshalle für nicht mehr sicher genug. Ohne weiter oben zeitraubend um Genehmigung nachzufragen, beschlossen sie, den Schatz aus dem Ruhmestempel Ludwig I. in einen der Prunktempel Ludwig II. zu verlagern — nach Schloß Neuschwanstein.
Mit seinem Wagen und den nötigen Papieren holte Architekt Walz die sieben Kisten ab. Er verstaute sie in und auf dem Wagen. Das lange fränkische Zeremonienschwert wickelte er in seinen Mantel und legte es diagonal zwischen die Vordersitze.
Unbehelligt schaukelte der Millionentransport seinem Ziel entgegen. Auf Schloß Neuschwanstein kannten Architekt und Museumsdirektor einige durch das Leben im Bannkreis des Märchenkönigs noch immer monarchietreue Bedienstete. Sie waren verständigt, ohne zu wissen, was man ihnen bringen würde.
Doch es kam anders.
Es begab sich nämlich, daß Tino Walz in der Abenddämmerung wenige Kilometer vor dem Schloß auf einen Konvoj aus Militärlastwagen stieß. Uniformierte hielten das hochbeladene Privatauto an — eine brenzlige Situation. Glücklicherweise jedoch wollten sie nur eine Auskunft: den Weg nach Schloß Neuschwanstein. Ausgerechnet! dachte der Schweizer.
Er mußte Gewißheit haben, was hier vorging. Während er mit den Männern plauderte, tastete seine Rechte nach dem Zeremonienschwert, ob es noch mit dem Mantel bedeckt sei. Sie wirkten übermüdet, die Transportbegleiter, und kamen direkt aus Frankreich.
»Vom Stab Rosenberg«, wie sie sagten.
Tino Walz gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben.
Stab Rosenberg — das hatte sich bis in die Münchner Residenz herumgesprochen — war jene Dienststelle, die gestohlenen Kunstbesitz, Gemälde, Gold, Silber, Edelsteine, vieles aus jüdischem Besitz aus dem besetzten Nachbarland abtransportierte. Interessanterweise auch nach Schloß Neuschwanstein.
Ohne lang zu überlegen erbot sich der Eidgenosse, den erschöpften Männern den Weg zu zeigen. Er werde vorausfahren. Einträchtig rollten sie mit ihren Schätzen in die Dunkelheit.
Im Schloß wurde der Konvoj schon erwartet.
Er habe nur den Weg gezeigt, erklärte der Schweizer und verabschiedete sich, indem er baldige, wohlverdiente Ruhe wünschte.
Die Männer begannen abzuladen. Niemand kümmerte sich mehr um ihn und seine Fracht. Unbemerkt konnte er einen der Vertrauten beiseite nehmen. Es bedurfte nur weniger Worte. Der Königstreue ahnte die Gefahr, behielt aber die Nerven.
Während vor dem Schloß das von den Machthabern geraubte Gut abgeladen wurde, verschwand hinten der ihrem Zugriff entzogene Kronschatz in einem anderen Keller jenseits der künstlichen Grotte, jenem Lieblingstraumraum Ludwigs II.
Noch immer atmete das Schloß den Geist des Märchenkönigs. Unter den herrschenden Umständen und in der Dunkelheit wurde das besonders spürbar.
Unbemerkt fuhr der eidgenössische Hoflieferant in die Nacht davon. Er war beruhigt.
Doch es kam anders.
Einer der wenigen Mitwisser hielt es für richtig, die eilige Verlagerung beim Ministerium zu melden. Das mußte als Defaitismus ausgelegt werden.
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