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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Buschor, Fedor Stepun, Wilhelm Hausenstein, Lesungen von Hans Carossa, Werner Bergengruen, von Inge Birkmann oder von dem Dramaturgen Rudolf Bach, Kunsthistorisches von Carl Lamb, Tino Walz, Paul Girkon sowie Lichtbilderabende mit dem geschenkten Projektor. Das war noch am alten Platz. Sie pflegen die Freude an der Sache, die Freunde. Sie sind die einzige Einrichtung, die den Idealismus und die Bescheidenheit von damals bewahren konnte. Ein moralischer Kraftakt.
    Dieser Geist überträgt sich noch heute auf die Mitwirkenden. Da wird nicht als erstes nach der Gage gefragt, werden kleine Mängel in Kauf genommen, statt sie zu beanstanden, sei es die Akustik, das Licht oder ein fehlender Wasserhahn in der Garderobe. Man geht zu Werk — wie damals.
    Nach wie vor schreibt Eva Walz die Adressen der Einladungen mit der Hand, kümmert sich um Blumenarrangements, sucht Geschenke für die Künstler aus.
    »Es soll nicht sein wie überall, sondern persönlich«, sagt sie.
    Das erfordert Mühe, Zeit. Sie aufzuwenden, bedeutet Kultur. Freiwilligkeit, Sorgfalt, Liebe zum Detail schaffen das besondere Klima, um das man sich andernorts mit Ansprüchen, Management und Perfektionssucht vergeblich müht.
    Die Bürgerinitiative hat Erfolg und Tradition angesetzt. Ihr origineller Einfall, sich ausgerechnet mit Kultur gegen Behördenwillkür und Schutträumeifer zu wehren, ist als Eulenspiegelei mit tieferer Bedeutung in der Geschichte der deutschen Wiederauferstehung einmalig. Hier leuchtet München am hellsten.

Lieben vor der Pille

    Um es mit einem Ausdruck von damals zu sagen: Wir waren ziemlich etepetete. Das Wort gibt es heute nicht mehr. Nicht nur das Wort, das diese Mischung aus konventionell, umständlich und steif bezeichnet, die wir in alten Filmen belächeln, wenn Zuneigung gewissermaßen linientreuen Text auslöst, als habe man eine Diktatur im Nacken. Man hatte. Die Nach-Viktorianische.
    Der Weg zueinander glich einem Hindernislauf über moralische Zeigefinger, religiöse Drohungen, Furcht vor Folgen, lustfeindliche Aufklärung und Psychoterror gegen den inneren Schweinehund. Dem Rollenverhalten nach hatte man uns allesamt im Kaiserin-Augusta-Stift für ein vorbildlich-unerotisches Leben in besten Kreisen gedrillt.
    Es gab auch andere Kreise, wo’s ungezwungener zuging. Doch sie zählten nicht im allgemeinen Elitestreben. Das Kaiserreich lag kaum eine Generation zurück. Selbst Nazis sagten beflissen gnädiges Fräulein.
    Verteidigungs- und Durchhaltepropaganda wirkten, samt ihren Folgen, Zerstörung und Not, konservierend auf Moral und Form. So hat das gnädige Fräulein, Grauen mit Stolz verdrängend, die Kapitulation überlebt.
    Sittenverfall ist Wohlstandssache. Wir begannen wieder etepetete. Manieren machten die Umgebung heller als das Hindenburglicht. Umständehalber gezwungen, im selben Zimmer zu übernachten, wandten wir uns ab, während eine junge Dame sich auszog, ja, wir beeilten uns, ihrer Aufforderung zuvorzukommen. Dabei stellten wir uns alles viel schöner vor: frisch gebadet, in Seide, nicht mit grauem Hals im Maccohemd aus Wehrmachtsbeständen. Erst ihr Zuruf, sie liege nunmehr im Bett, führte unseren Blick in die blasse Wirklichkeit unter alten Decken, Mänteln zurück, das Fußende vom Bettvorleger beschwert.
    Jetzt konnte man sich auf der Bettkante niederlassen und reden, reden, damit sie Ritterlichkeit nicht mit Desinteresse verwechsle, konnte sich nach ihm erkundigen, auf den sie wartete, um festzustellen, wie sehr, beziehungsweise ob es ihn überhaupt gab. Dabei konnte man seine Schuhe ausziehen, in der Hoffnung, ein späterer Hinweis auf kalte Füße möge sich einladend aus wirken. Wenn nicht, dienten sie als guter Grund, sich nach brüderlichem Gute-Nacht-Kuß auf die Stirn in seine zusammengerafften Klamotten einzupuppen, und, falls sie vorsichtshalber wieder von ihm zu erzählen anfangen sollte, gut hörbar, mit langen, gleichmäßigen Atemzügen zu antworten.
    Die besseren Flirtdialoge waren doppelbödig wie beim Theater. Beide redeten scheinbar unbefangen von Kartoffeln und wußten, sie meinten Tomaten. Das hatte zusätzlichen Reiz.
    Aus Erziehung, nicht aus soldatischer Gewohnheit, bewachte man unabschließbare Badezimmertüren, verteidigte, was einem nicht gehörte, nahm Lasten ab, hielt Türen auf, bot den eigenen Sitzplatz an. Höflichkeit war eine Spielart des Eros und ist es dieser Generation geblieben. Nicht als Geste vom stärkeren zum schwächeren Geschlecht, vielmehr aus Verehrung,

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