Fröhliche Zeiten
Bange Tage vergingen. Museumsdirektor Thoma, der Hauptverantwortliche, tat nachts kein Auge zu. Aus den Tagen wurden Wochen — niemand belangte ihn. Die Ministerialen in München hatten im verschärften Bombenkrieg andere Sorgen.
Der Rauch der Brände verdüsterte den Himmel über Deutschland immer mehr. Seit der Invasion gab es zwei Fronten.
Im Februar 1945 gründete Tino Walz wie bereits erwähnt die Vereinigung Freunde der Residenz. Bei kulturellen Veranstaltungen vergaßen sie für Stunden die Not. Doch nun war er es, der schlecht schlief. Was sollte mit dem Kronschatz geschehen? Die Front rückte immer näher.
Wenn die Amerikaner kommen — überlegte er — und finden in Neuschwanstein die aus Frankreich weggeschleppten Kunstschätze und unsere Kisten samt dem Schwert, dann fallen die für sie auch unter geraubtes Feindgut. Und alles war umsonst.
Die bayerische Schatzkammer mußte weg! Es galt, unverzüglich zu handeln.
Die Frage war nur wie?
Museumsdirektor Thoma konnte sich kein zweites Mal mit einer Verlagerung exponieren.
Mitwisser mußten unter allen Umständen vermieden werden. Da ersann der Architekt eine List:
Wenn er, Tino Walz, den Schatz auf eigene Faust verlagerte und selbst Museumsdirektor Thoma nicht wußte wohin, konnte der sich notfalls auf ein Mißverständnis, eine bedauerliche Verwaltungspanne hinausreden — das neue Versteck aber blieb geheim. Eine äußerst gefährliche Lösung. Doch es gab keine andere.
Der unerschrockene Museumsdirektor willigte ein. Er gab dem Architekten, der als Schweizer schwer zu belangen war und notfalls alles abstreiten konnte, eine versiegelte Vollmacht, die ihn ermächtigte, über den Schatz zu verfügen.
Es galt, unverzüglich zu handeln.
Mit seinem Wagen, der versiegelten Vollmacht und einer zusammengefalteten Schweizer Fahne fuhr der Eidgenosse am 23. April 1945 los. Gewitter und Schneefall — zweifellos auf Veranlassung des Märchenkönigs im Jenseits — begünstigten die erneute Verlagerung.
Auch diesmal behielten die königstreuen Bediensteten die Nerven. Der Genius loci des Wittelsbacher Schlosses gab ihnen Kraft. Unbemerkt vom Wachpersonal des Stabes Rosenberg packten sie im nächtlichen Schneegestöber die sieben Kisten in und auf den Opel Kadett, das fränkische Zeremonienschwert kam eingewickelt wieder an seinen Platz zwischen den Vordersitzen; über die hochgetürmte Dachlast spannten sie die Schweizer Flagge.
»Aha, gegen Tiefflieger«, meinte einer der Bediensteten. Da war sie auch schon zugeschneit.
Der Schweizer nickte. In Wirklichkeit sollte sie ihm bei Kontrollen durch Feldgendarmerie oder Polizei zusammen mit seinem Schweizer Paß behilflich sein. Motto:
Je auffälliger, desto harmloser.
Kontrollen gab es überall. Doch Tino Walz hatte alles genau durchdacht. Fragen nach dem Ziel seiner Fahrt konnte er glaubhaft beantworten: Die Schweizer Gesandtschaft. Sie war nach Rottach-Egern am Tegernsee evakuiert.
Um vier Uhr früh startete er. Über Bad Tölz zum Tegernsee ging die Fahrt. Dort sollte der Schatz auf dem Ringberg, dem hochgelegenen Sitz des Wittelsbacher Herzogs, die Zeitenwende im Gewahrsam der Familie überdauern.
Doch wiederum kam es anders.
Vorsichtig lenkte Tino Walz seine geschichtsträchtige Fracht über winterliche Straßen. Der Tag brach an und Mars regierte die Stunde. Hinter einer Kurve stand eine schwere Limousine im Weg. Uniformierte winkten, damit er anhalte. SS-Offiziere, wie sich herausstellte, sehr hohe. Der eidgenössische Reservist kannte die Rangabzeichen.
»Steigen Sie aus! Laden Sie Ihren Mist ab. Wir brauchen Ihren Wagen«, forderten sie im Tonfall damaliger Herrenmenschen.
Ihr eigenes Fahrzeug habe Motorschaden, fügte der Fahrer hinzu. Nun hieß es Nerven bewahren.
»Auf ihre Verantwortung«, sagte Tino Walz ruhig und zog seinen Schweizer Paß aus der Tasche. »Ich transportiere Akten unserer Gesandtschaft, die sich in Egern befindet .«
Die Herrenmenschen verstummten. Nur ihre Blicke sprachen: Das könnte Ärger geben.
»Na, ja«, meinte der Ranghöchste schließlich, »fahren Sie weiter .«
»Wie denn?«
Sie verstanden seine Frage sofort, faßten in die schmutzigen Radkästen und hoben den Kronschatz über den aufgeweichten Straßenrand um ihre defekte Limousine herum. Nicht ohne zu stöhnen:
»Mann, Sie haben aber ganz schön geladen !«
»Heil Hitler !« rief einer.
Ohne den Gruß zu erwidern, fuhr Tino Walz davon. In solchen Situationen zeigt es sich, wie sinnvoll die
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