Fröhliche Zeiten
Haustür dröhnte unter Kolbenstoßen. Das Haus sei umstellt, erklärte ein aufgeregter Offizier und verlangte unverzüglich die Bergungspapiere von Schloß Herrenchiemsee.
Tino Walz, von Bewaffneten eingekreist, lachte. Sie seien heute bereits die dritte Gruppe mit diesem Ansinnen.
Fassungslos starrte der Offizier ihn an. Dann blies er die Umstellung ab und ließ seine Mannen aufsitzen. Zur Fahrt nach Herrenchiemsee.
Wie sich herausstellte, suchte nicht nur die zuständige Dienststelle — die Art Protection — nach dem Schatz. Kriminelle Elemente, die über befreite Ostarbeiter, verängstigte Nazis oder sonstwie von den Auslagerungen wußten, versuchten, ihr, als reguläre Soldaten verkleidet, zuvorzukommen.
Ein Wettlauf ums goldene Kalb begann. Mit großem Aufgebot wurde auch Herrenchiemsee umstellt. Pioniere durchkämmten mit Minensuchgeräten jeden Winkel im Schloß, jeden Quadratmeter im Park. Nichts war da. Nur an einer Stelle piepste es im Kopfhörer. Sie gruben nach. Eine Kassette fand sich. Doch sie enthielt nicht den Schatz — nur die Münzsammlung des Verwalters. Der Mann wurde sofort verhaftet.
In dieser martialischen Geschäftigkeit fühlte sich Tino Walz selbst als Schweizer nicht mehr sicher. Man würde ihn und alle mit der Residenz befaßten Herren verhören, um den Weg der Auslagerungen zu rekonstruieren. Unangenehme, unwürdige Aussichten.
Und er verfaßte einen Brief an die Militärregierung — to whom it may concern:
Sehr geehrte Herren,
ihre Suche nach dem bayerischen Kronschatz ist zwecklos. Sie werden ihn nicht finden. Auch hat es keinen Sinn, irgend jemand zu verdächtigen. Ich selbst, der bauleitende Architekt der Residenz, habe ihn weggebracht. Nur ich allein weiß, wo er sich befindet. Leider bin ich gerade nicht zu erreichen. Ich bin in mein Heimatland, in die Schweiz gefahren, werde aber zurückkommen, sobald wieder Sicherheit besteht.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Tino Walz
Mit dem Wagen fuhren Tino und Eva Walz bis in die Nähe der Grenze. Zu Fuß schlichen sie in die Heimat hinüber und verfolgten aus dem Engadin das weitere Vorgehen der Militärregierung.
Die Nachrichten klangen immer besser. Im sogenannten Führerbau an der Luisenstraße hatte sich die Art Protection etabliert und ihre Sammelstelle eingerichtet, den Collecting Point. Hier wurden alle gefundenen Kunstschätze eingelagert, gestohlenes Gut sichergestellt, um es den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben. Kunstgegenstände aus dem Ausland, die nicht mehr auffindbar seien, sollten ihrem Wert entsprechend in Geld ersetzt werden.
Das klang nach Ordnung. Der Bildersturm hatte sich offenbar gelegt. Ein amerikanischer Offizier, den der Schatzhüter in Zürich aufsuchte, sah keine Hindernisse mehr. In solidem Schweizer Schuhwerk überschritt das Ehepaar Walz nächtens erneut die Grenze und fuhr nach München zurück.
Einerseits erschien die Lage noch immer nicht ganz geheuer; andererseits was sollte passieren? Ein Neutraler gab unersetzliche Werte zurück. Fragte sich nur, an wen. Vorsichtige Informationen ergaben, daß sich in der Holbeinstraße, wo viele amerikanische Offiziere wohnten, eine neue Dienststelle eingerichtet hatte: Monuments and Fine Arts.
Dorthin begab sich Tino Walz, zeigte seinen Schweizer Paß, das Duplikat seines Briefes an die Militärregierung und sagte, er sei, wie versprochen, wieder da.
Und abermals kam alles anders.
Sein Gegenüber, ein Oberstleutnant, kannte den Brief offensichtlich. Daß einer, der einen Millionenschatz versteckt hält, zurückkommt und sich auch noch meldet — das wollte nicht in seinen Dienstmützenkopf.
Eine Tat wie im Märchen — wunderte er sich und füllte zwei Gläser mit Whisky, um mit dem seltsamen Kauz anzustoßen. Ganz traute er dessen Worten noch nicht. »Sie sind also zurückgekommen ?«
»Ja.«
»Und wissen, wo sich der bayerische Kronschatz befindet ?«
»Ja.«
»Sonst weiß das niemand ?«
»Nein.«
Nach dieser unglaublichen Auskunft brauchte er einen zweiten Whisky und füllte die Gläser. Jetzt tranken sie in kleinen Schlucken. Versonnen starrte der Oberstleutnant vor sich hin. Sein Besucher wollte endlich Gewißheit haben und brach das Schweigen.
»Was wird jetzt mit dem Kronschatz ?«
»Take it !« rief der Offizier. »Take it !« Und es klang, als meine er’s ernst, sei nicht zuständig, habe keine Verwendung dafür.
So aberwitzig es erscheint: Tino Walz hätte gehen können, selbst entscheiden, was er mit den Kronen,
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