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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Novak-Welle begann, komponiert und getextet von dem Wiener Schriftsteller und Kabarettisten Hugo Wiener.

    Ich habe einen Mann, den viele möchten,
    der immer mich bewahrt vor allem Schlechten,
    ein jeder kennt ihn, Novak ist sein Name —
    ihm danke ich, daß heut’ ich eine Dame.
    Ob angezogen oder als ein Nackter,
    der Novak hat am ganzen Leib Charakter —
    ich hätt’ schon längst ein böses End’ genommen,
    aber der Novak läßt mich nicht verkommen.

    Mit dieser Zeile enden sämtliche dreiundachtzig Strophen. Die Verse zu Tagesereignissen hat Gisela selbst gereimt.
    Das Lokal Gisela wurde am 1. Dezember 1952 eröffnet und am 6. Juni 1974 geschlossen — ein Schwabinger Rekord. Die Wirtin Gisela besaß den unbekümmerten Schwung der Nachkriegsjugend, die wenig gelernt hatte, aber viel wußte — nämlich aus allem etwas zu machen.
    Da hatte es um die Ecke in der Haimhauser Straße ein anderes Lokal gegeben. Es trug den für Bayern kolonialistischen Namen Pfälzer Hof und wurde betrieben von einer legendären Wirtin mit Spitznamen Mutti Bräu. Später nistete sich dort Kabarett ein: die Münchner Lach-& Schiess-Gesellschaft. Der Pfälzer Elof war das gewesen, was Bürger ein Künstlerlokal nennen. Eng, verraucht, einfach möbliert, Kerzen auf den Tischen — ein Platz zum Bleiben, zum Verhocken.
    In diesem Pfälzer Hof gab es ein für den kleinen Raum üppiges Podium, darauf eine Kapelle aus echten, lebenden Musikern. Gelegentlich trat jemand auf und ließ sich begleiten, wie Marietta di Monaco, auch sie ein legendäres Schwabinger G’wachs, eine Isar-Piaf, ebenso klein, mit wesentlich weniger Stimme, aber ungemein frech im Vortrag. Oder Walter Hillbring, ein kahler Sonortöner mit baltischem Akzent, stets in grauem Flanelldoppelreiher und Krawatte, dabei Bohemien von Format — ein an Schwabing zerschellter Seigneur.
    Auftritte waren Stimmungssache. Man bekam nichts dafür, wurde aber auch nicht gehindert, nur schlimmstenfalls ausgepfiffen. Für manche gab’s vielleicht doch so etwas wie Gage, eine Flasche Wein, ein warmes Essen. Ich habe meinen Be bop immer gratis gesungen, aus Spaß an der Freud’. Aber zurück zu ihr:
    Im Pfälzer Hof stand die Wiege der Sängerin Gisela. Ohne Sonderhonorar, denn im Puppenstadium war Gisela noch Fräulein Jonas und bei Mutti Bräu engagiert. Nicht auf dem Podium — hinter den Kulissen als Mädchen für alles. Vom Kartoffelschälen bis zur behutsamen Entfernung Volltrunkener.
    Im Dienst von der Pieke — ich komme um Erfolgsmenschenlebenslaufklischées nicht herum — im Dienst von der Pieke auf, erwarb sie sich — jetzt kommen sie: Umsicht und Vielseitigkeit, die nötig sind, um einen Laden zu schmeißen. Stimme und Bühnensicherheit gehörten dazu, die Nase für Publikum. Von Haus aus nämlich war Gisela, wie viele einfühlsame Menschen, erheblich schüchtern. Vor jedem Auftritt zog ihr Pulsschlag beängstigend an. Bis heute heißt ihr ständiger Begleiter Lampenfieber. Man merkte es nie. Selbstmitleidige Koketterie lag ihr nicht. Sie kultivierte die besten Tugenden ihrer Generation. Gisela war ein bescheidenes, diszipliniertes, geduldiges Mädchen für alles. Erst als sie kochen, singen, rechnen, einkaufen, putzen, aufmuntern, spülen, beruhigen, engagieren, einschreiten, entlassen, verhandeln, hinauswerfen und selbst im Fortissimo der Kapelle das Gras wachsen hören konnte, stieg sie in die Selbständigkeit um.
    Ohne Schwierigkeiten bei den Behörden. Die Freiheit wurde noch nicht als Zwang verwaltet. Mit kleiner und großer Bar hatte das Lokal einhundertdreiundzwanzig Plätze, die aus mindestens vier, höchstens sechs lebendigen Musikern bestehende Kapelle nicht mitgerechnet. Von Anfang an herrschte Gedränge und bei der erfolgreichen Enge blieb es. Edward Kennedy, damals noch schlanker als heute, zwängte sich auf einen Stuhl, Maria Callas atmete willig die stimmtötende Rauchluft, Orson Welles verdichtete den Qualm mit teurer Zigarre, Sowjetmensch Juri Gagarin, erster Nichtaffe im Vorgarten zum Weltraum, durfte im kapitalistisch-frivolen Schwabing zwischenlanden und Giselas defätistischbourgeoisem Gesang lauschen:

    ...er hätte gern den Weltraum übernommen,
    aber der Sputnik ließ ihn niederkommen.

    Den Atem raubend klopfte Giselas Herz, wenn sie vor prominenten Musikern singen sollte. Noch heute fühlt sie in Erinnerung an den Abend mit Leonard Bernstein ein Nachbeben.
    Er habe in Amerika von Gisela gehört — ließen Begleiter des Maestro wissen. Da er

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