Fröhliche Zeiten
wohlriechend trotzte er dem Trümmerdasein mit gepflegtestem Äußeren, Nelke im Knopfloch und tadellosen Manieren. Am 15. August zur Welt gekommen — wie Napoleon — in Leipzig übrigens, entwischte er der Stadt wie der Franzosenkaiser nach der Völkerschlacht. Vor allem aber dem sächsischen Dialekt. Er sprach mit französischem Akzent, gebrauchte französische Redewendungen. Sein ständiger Ausruf: »Oh, mon Dieu!«
Der Sohn eines Kunsthistorikers, im Sternzeichen des Salon-Löwen geboren, liebte er Luxus und spektakuläre Auftritte. Herbert mit Vornamen gefiel sich in souveräner Ironie. Er stilisierte die Welt, wo sie ihm zu grau erschien, stilisierte sich selbst. Bis in die Orthographie, in dem er seinen Nachnamen Stieler statt mit IE mit Ypsilon schrieb.
Sein fröhliches Gepränge paßte nicht in die Zeit, tat ihr aber gut. Er sah sich barock, was seiner Statur entsprach, und hätte am liebsten zur Zeit Ludwigs XIV. gelebt — als Edelmann bei Hof, versteht sich. Vom Schicksal im 20. Jahrhundert inkarniert, blieb er seinem absolutistischen Wesen treu.
»Die einzig mögliche Gesellschaft ist man selbst«, könnte er gesagt haben, wäre ihm nicht Oscar Wilde zuvorgekommen, mit dem ihn manche Anlage verband — oh mon Dieu! — von der Literatur einmal abgesehen.
Erscheinungen wie Herbert Styler gibt es nicht mehr. Bei allen gesellschaftlichen Ereignissen zeigte er sich gepflegt, overdressed, weder das Leben noch sich selber ernstnehmend, ein letzter Dandy, Daseinsgourmet aus Leidenschaft, ein lockig-mediterraner Dorian Gray, de profundis die königliche Kirsche auf der Crème de la crème, eine Majestät der Fröhlichkeit, Seine Grazie, Herbert, Sonnenkönig von München.
Daß er einmal im Fasching als Roi Soleil erschien, ist weder Zufall noch Wunschtraum. Er lebte im größtmöglichen Stil und parodierte ihn gleichzeitig — in unserem prestigesüchtigen Land eine bemerkenswerte Spielart von Souveränität.
Sein Aufstieg begann an der Isar. Nicht einflußreiche Männer ebneten ihm den Weg. Zwei Frauen waren es, Idi und Ysabel, beide keineswegs jung, die ihm den Rahmen gaben. Beide genossen die Gegenwart des charmanten Kavaliers, und er dankte es ihnen mit großer Anhänglichkeit.
Eine Freundin jener Idi hat mir die Geschichte anvertraut. Sie ist zu schön, um nicht wahr zu sein:
Diese Freundin, als Witwe eines sehr viel älteren Reeders, das, was man eine nicht mehr taufrische, gleichwohl glänzende Partie nennt, hatte den zweiten Mann ihrer Träume schon gefunden. Nicht ganz so nahtlos fügte es sich bei Idi. Sie hatte einen alten Baron auf dem Friedhof, das Vermögen auf der Bank und suchte noch, von der schon wieder Glücklichen unterstützt.
»Ich hab ihn !« verkündete Idi eines Tages und holte die Hilfewillige zur Besichtigung. Das war in den Dreißigerjahren.
»Er arbeitet in der Textilbranche«, ließ die Baronin ihre Freundin wissen. Dabei steuerte sie auf ein renommiertes Konfektionshaus zu — ein jüdisches Geschäft, das muß gesagt werden. Am repräsentativen Eingang öffnete ein junger Mann in Livrée die Tür. Mit ungewöhnlich heller Stimme begrüßte er die Damen, erkundigte sich, welche Abteilung sie suchten, um ihnen den Weg dorthin zu beschreiben.
Die Baronin dankte. Man wisse Bescheid. Sie traten ein. Neugierig musterte die Freundin alle anwesenden Männer.
»Wer ist es ?«
»Das war er«, antwortete die Baronin.
»Wer?«
»Der an der Tür.«
»Idi !« Die Freundin blieb stehen. »Der ist ja noch nicht einmal im Stimmbruch .«
»Das täuscht .« Sibyllinisch lächelte die Baronin. »Na, nun sag schon, wie findest du ihn ?«
Die Freundin zögerte und wurde beschwichtigt. »Er ist Volontär. Ja und? Irgendwo muß er ja anfangen .«
Sie gingen zurück.
»Auf Wiedersehn die Damen. Beehren sie uns wieder«, wisperte der junge Mann.
Die Freundin musterte ihn mit Pferdekennerblick.
»Gut aussehen tut er ja«, sagte sie draußen.
»Und nächste Woche spricht er tief«, versicherte die Baronin. »Wir waren schon beim Arzt. Nur eine kleine Verwachsung am Stimmband.«
Sie sollte recht behalten.
»Enchanté!« sagte der junge Mann bei der nächsten Vorführung im Salon der Baronin, sagte es, seiner um zwei Oktaven tieferen Stimme genüßlich nachhorchend und küßte, von keiner Türklinke behindert, der Reederswitwe galant die Hand.
Seine Konversation war witzig, mit lässiger Eleganz bewegte er sich im neuen Maßanzug, mixte ausgezeichnete Drinks, als sei ihm die
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