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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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in Europa hauptsächlich französisch spreche, wäre ein Lied in dieser Sprache angebracht. Die Wahl fiel Gisela leicht. Sie hatte nur eines im Repertoire.
    Bernstein, kein Meister im Stillsitzen, zeigte sich während des Vortrags angetan. Das half ihr sehr. Anschließend beim Händedruck am Tisch raffte sie alles Französisch zusammen, um deutlich zu machen, wie enchantée sie über den Besuch sei.
    Väterlich faßte der Dirigent sie bei den Schultern und — das war doch deutsch, was er da sagte: »Dankescheen Gisela. Machen Sie so weiter !«
    Gisela versprach’s und hielt’s. Weder den Novak ließ sie verkommen, noch ihre hochgerühmte Spezialität: Gulaschsuppe.
    So manchen Studenten oder jungen Künstler hat sie damit durchgefuttert, wenn der Magen ebenso leer war wie die Taschen. Jahre später kamen sie dann wieder, voller geworden. Auch in der Brieftasche und revanchierten sich mit Champagner. Einer von ihnen könnte Lido Jürgens gewesen sein. Die Bezeichnung, die der Barde für Gisela fand, klingt nach dankbar vollem Herzen. Er nennt sie
    Engel von Schwabing.
    Selbst der Spiegel, im Umgang mit Lob nicht eben leichtfertig, hat ihr einen Ehrentitel wider den eigenen politischen Standort verliehen:
    Königin von Schwabing.
    Im Freistaat fiel die Anerkennung sparsamer aus. Zunächst. Überschwengliches Lob gilt auch unter Zugereisten als unbayerisch. Scheinbar ungerührt löffelte man die köstliche Gulaschsuppe. Genüßliches Schmatzen ging in Musik und Stimmengewirr unter.
    Peter Paul Althaus, Lordsiegel- und Traditionsbewahrer Schwabings sowie Bürgermeister der Traumstadt, empfand das neue Lokal als Fremdköper in seinem Schwabing; Gisela — das war, wenn überhaupt ein Schwabing, dann ein anderes — stellte er sehr richtig fest. Der Zusatz zum Wandel der Zeiten als natürliche Entwicklung fiel ihm erst später ein. Dann allerdings kapitulierte er ehrenhaft und gründlich. Gisela bekam die erzschwa-bingerische Silberne Seerose und den Schwabinger Kunstpreis.
    Jetzt wußte man’s: Sie verkörperte eine Ära. Die Ära Gisela. Auch die konnte nicht ewig dauern. »Unbeschwert war’s bis 1966 !« hat ihr präzises Gedächtnis festgehalten.
    Immer schneller wandelten sich die Zeiten und Gisela zeigte, was sie durch Peter Paul Althaus gelernt hatte: sich nicht zu entrüsten, nicht zu lamentieren, nicht am eigenen Nimbus zu stricken, nur festzustellen:
    »Jetzt haben wir ein anderes Schwabing. Das ist völlig richtig so .«
    Und frei von nostalgischen Beschwerden hat sie wieder ein Lokal — ein anderes. Kaiser Friedrich. Ein vorgestriger Name, ohne ihr Dazutun. Die Wirtschaft heißt so.
    Mein Denkmal aus Buchstaben gilt der Königin von Schwabing, der Queen des unbeschwerten giselanischen Zeitalters.
    Was hatten wir’s fröhlich! Welchen Lärm ertrugen die Anwohner, als sei Lebensfreude für Nichtbeteiligte schlaf fördernd. Gulaschsuppe gab’s offiziell bis drei Uhr früh. Pünktlich zur Polizeistunde sperrte Gisela ab. Die Gäste blieben. Sie wurden nur umbenannt — in Geschlossene Gesellschaft. Und haben weitergefeiert, gelacht. Oder, frei nach Hugo Wiener, gereimt:

    ...und hat sich wer beim Tanzen übernommen,
    ließ ihm der Novak noch ‘ne Suppe kommen.

    Beamte der Funkstreife klopften an die Tür — die Geräuschkulisse war zu orgastisch-orgiastisch. Giselas Augen funkten Freude. Sie bat sie herein ins geschlossene Bacchanal.
    Man sei sehr laut! rügten die Ordnungshüter regelmäßig, und die Polizeistunde gelte auch für die Küche. Zur Antwort ließ Gisela ihnen Gulaschsuppe servieren, deren Duft allein Ausreden wie Man sei im Dienst in mechanische Schluckbewegungen umwandelte. Während die Mannen aßen, entpuppte sie sich als Avantgarde des Umweltschutzes.
    »Wer löffelt, ist leise !« verkündete sie. »Ihr seid der beste Beweis. Sonst wär’ hier der Teufel los. Drum muß die Küche offenbleiben .«
    Gisela hatte eben das — und hat es noch — , was die perfekte Schwabinger Wirtin ausmacht: Gespür für die Menschen um sich herum, eine Antenne für Harmonie, die Störsender rechtzeitig ausmacht und ihre bösen Wellen mit behutsamem Zureden glättet; den siebten Sinn hat sie, zu dem Menschenliebe gehört.
    Sagen wir’s feierlich: Gisela hat sich um Schwabing verdient gemacht. Sie ist ein Stück München geworden, das noch immer leuchtet. Bis nach Übersee.
    Mit langen weiten Röcken kam 1947 der New Look für die Damenwelt — und für einen einzelnen Herrn in München. Heiter und

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