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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Artikel an Länge weit übertraf, ein Berufsvertretungsverband e. V. aus dem Bereich der Dentalmedizin. Der Text wäre als Zeitkritik, sprachlich wie inhaltlich, kabarettreif gewesen.

    ...wenn wir feststellen, daß Glossen dieser Art unsere überaus schwierige Aufklärungsarbeit noch schwieriger zu gestalten geeignet sind, möchten wir hinzufügen, daß wir durchaus Sinn für eine kernige Dosis Humor besitzen, ja, daß darüber hinaus der Schreiber dieser Zeilen (er unterschrieb nicht) selbst nicht nur ein echter Bajuware, sondern sogar ein völlig unverfälschter Münchner ist. Mit dieser Feststellung soll dem Verdacht vorgebeugt sein, daß etwa »bayerischer Humor nicht verstanden« werde...

    Nachdem sich der Verband damit Humor bescheinigt hatte, sprach er ihn dem Sigi ab.

    ...Es wird Ihnen, sehr geehrter Herr Chefredakteur, sicher klar sein, daß niemand sich unterfangen würde, etwa über eine Hals-, Nasen-, Ohren- oder eine Frauenklinik ähnliche Witze zu machen. Den merkwürdigen Bezeichnungen Fistel-Hochburg, Plomben-Tobbogan, Alpursa-Hauer analoge »Begriffe« würden in bezug auf andere Gebiete der Medizin niemandem einfallen...

    Hier wird Blasius der Spaziergänger grob unterschätzt. Nach einer längeren Ausführung, welche die Arbeit des Verbandes werbewirksam schilderte, schlug sich der anonyme Verfasser auf die andere Seite:

    ...Wir sind davon überzeugt, daß Sie mit uns darin übereinstimmen, daß man auf diese Art der breiten Öffentlichkeit nicht klarmachen kann, daß die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ein vollwertiges Fach der Gesamtmedizin ist und welche Bedeutung ihr im Hinblick darauf zukommt, daß Hunderttausende an schweren allgemeinen Erkrankungen leiden, die ausschließlich durch vernachlässigte Zahn- und Mundkrankheiten verursacht sind. Wir können uns wirklich nicht vorstellen, daß Sie nicht mit uns eine andere Art für glücklicher halten, der Öffentlichkeit die große Bedeutung der Volksgesundheit...

    Volksgesundheit — dieses von den Nazis strapazierte Wort ragte als Mahnmal von gestern noch herüber und blieb trotz des großen sittlichen Ernstes der einzige Ausrutscher in die noch nicht bewältigte Vergangenheit.
    Aber nicht nur die Kritik — und sei sie noch so unfreiwillig komisch — soll hier zu Wort kommen, sondern vor allem Sigi Sommer selbst. Eine seiner ersten Momentaufnahmen von Freitag, dem 17. Mai 1946, vermittelt damalige Zustände und ihre Umsetzung durch den Vielgelobten.

    Ein Kuckucksei
    Vor einem Fischgeschäft in der Nymphenburger Straße in München stand eine »Schlange«. Eine Frau in Schwarz, das Gesicht tief verschleiert, ging vorüber, blieb stehen und musterte die Wartenden. Plötzlich ging sie auf eine gutmütig aussehende, ältere Frau zu und ersuchte sie mit leiser Stimme, ihre Einkaufstasche für ein paar Minuten zu halten. Sie habe nebenan noch eine kleine Besorgung zu machen und werde gleich wieder da sein. Die Angesprochene erklärte sich gern bereit, worauf sich die Dame in Richtung Neuhausen entfernte.
    Nach einiger Zeit jedoch wurde die Hilfsbereite von einer Frau darauf aufmerksam gemacht, daß aus ihrer Tasche etwas heraustropfe. Die Frau öffnete den Verschluß und wurde beinahe vom Schlag gerührt, denn der Inhalt der Tasche war — ein neugeborenes Negerlein.
    Nach äußerst erregtem Meinungsaustausch der Umstehenden über die sonderbare Fundsache wurde das »Kuckucksei« in die nächste Polizeiwache gebracht und dort in vorläufigen Gewahrsam genommen.

    1950 wurde die Rationierung der Lebensmittel aufgehoben. Es gab wieder Speck, und wir setzten ihn an. Wellen schlugen über uns zusammen: die Kaufwelle, die Freßwelle, die Bekleidungswelle, die Einrichtungswelle, die Reisewelle — der Aufschwung war nicht zu übersehen. Bei der Münchner Gastronomie hatte das Wirtschaftswunder einen Mädchennamen — Gisela. Die Gastwirtschaft Gisela mit ihrer singenden Wirtin Gisela in der Occamstraße 8 wurde weltbekannt und blühte wie kein anderes Schwabinger Lokal.
    Sprach man irgendwo auf dem Globus über München, fiel mit ziemlicher Sicherheit entweder der Name Gisela, oder man sang den Refrain ihres berühmten Couplets: Aber der Novak läßt mich nicht verkommen...
    Wie es sich für ein Couplet gehört, verwob Gisela ständig aktuelle Begebenheiten hinein. So läpperten sich mit der Zeit dreiundachtzig Strophen zusammen. Neunundvierzig davon gab’s auf Schallplatten. Zur Erinnerung sei eine erwähnt, die Ur-Strophe, mit der die

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