Fröhliche Zeiten
durften. Als Inge Schecks schulterweit ausgeschnittene Bluse einmal unter den Busen rutschte und sie — mit Requisiten in beiden Händen — seelenruhig weiterspielte, im damaligen Restaurationsklima eine doppelte Sensation, mutmaßte man, die Bühnenbeleuchtung werde vom knisternden Eros in den Garderoben gespeist. Gewiß, in diesem Dorado aus Unterwäsche knisterte es tatsächlich. Doch die Ursache fand sich vor allem im Kopf: der nächste Text. Wenn wir einander beim Umziehen halfen, griff man zu. Und hatte nur einen Gedanken dabei — daß es eilte.
Gut hundertmal habe ich ein Korsett zugehakt, bis ich sah, was ich da verpackte, habe aus Kleidern geholfen, ohne an der Konzentration Schaden zu nehmen. Es gab auch Zärtlichkeiten, beruhigendes Streicheln, Umarmungen, Küsse hinter den Kulissen, Intimitäten als Stellprobe sozusagen, denn erst auf der Bühne entfalteten sie ihr voll vibrierendes Bouquet. Danach herrschte wieder familiäres Desinteresse mit kleinen Freiheiten. Der wie gesagt sündteure Umbau des neuen Hauses beschädigte meine Jungfräulichkeit in finanziellen Dingen nicht. Er flatterte im allgemeinen Aufwind mit. Es war eine gute Zeit für Wagnisse. Alle wagten. Doch ohne Gönner hätten wir’s nicht geschafft. Rundfunkintendant Rudolf von Scholz und Unterhaltungschef Rolf Didczuhn schossen uns Honorare vor. Der Süddeutsche Verlag, der Münchner Merkur, Siemens & Halske, Lodenfrey, Mix & Genest und noch ein Dutzend Firmen halfen mit Geld- beziehungsweise Sachspenden beim Deichbau gegen die Flutwelle von Rechnungen, die unser Nestbeschmutzernest wegzuschwemmen drohte. Ohne Egon Goliat als Deichgraf hätten wir Kabarett unter melden müssen. Ich bewunderte ihn! Wie er Bezahlungen voreilig zugestellter Rechnungen durch Nachbestellung von Kleinigkeiten, die zu beschaffen einige Zeit dauern würde, mit dem Satz »Wir zahlen dann alles zusammen !« hinausschob! Wie er Rechnungen an die falsche Hausnummer, etwa 43 statt 44, mit dem Vermerk hier nicht bekannt zurückschickte, um ein paar Tage zu gewinnen, oder Fehler erfand, über die man sich noch einmal in Ruhe unterhalten sollte, sobald man Zeit habe. Und wie er immer rechtzeitig vor Gläubigern um die nächste Straßenecke verreiste — alles war finanzkabarettistisch bravourös.
Unbezahlbare und, bei Gott, unbezahlte Hilfe leistete auch unsere Bürovorsteherin Centa Ostermeier, ehedem Sekretärin von Otto Falkenberg an den Kammerspielen. An diesem ungemein rundlichen, unangreifbar freundlichen Prellbock zerschellten wütende Gläubiger rudelweise. Centa war infam positiv. Sie appellierte an das kulturelle Gewissen, das jeder zu haben habe.
Eine Bausteinaktion hatte sie ersonnen, bei der man, ob Zuschauer oder Lieferant, mit einer Spende von fünf Mark an aufwärts einen Baustein der Kleinen Freiheit erwerben und sich damit in die Gesellschaft der Freunde des literarischen Kabaretts einkaufen konnte. Dafür bekam man freien Eintritt zur ersten, öffentlichen Vorstellung des nächsten Programms — sprich Generalprobe — , Einladungen zu den Cocktailparties des Theaters — damals ein zu viel versprechendes Neuwort — und der Name kam auf eine im Foyer aufgehängte Ehrenliste, die alphabetisch mit Hans Albers anfing. Da standen sie, gleichsam untergehakt, verewigt: Wer wer war und wer wer werden wollte.
Die Staatsoper hat sich später mit einer ähnlichen Idee einen Teil ihrer Bestuhlung verschafft. Kleine Namensschilder erinnern an den Stifter.
Dank Egons Jongleurkünsten und Centas Bausteinmauer hielt der Deich. Unter der Last zusätzlicher Sozialabgaben wäre er wohl zusammengebrochen. Wir ließen sie einfach weg.
Theater in Finanznöten zählen zum festen Bestand bürgerlicher Vorstellungen. Wie lustig das Leben mit bescheidenen Mitteln sein kann, zählt für sie nicht und mag allenfalls der älteren Generation erinnerlich sein. Im künstlerischen Beruf von seiner Tätigkeit gerade so leben zu können, war damals Erfolg genug. Die Freude an der Sache mußte stimmen. Erst später wurde sie durch die sogenannten Kohlen ersetzt.
Weil sich unsere Freude ansteckend mitteilte, rissen sich immer mehr Schauspieler um Engagements bei der Kleinen Freiheit. Auch ohne Sozialabgaben.
Noch gab es unter Künstlern den Snobismus der Unbekümmertheit. Für sein Alter traf man selbstverständlich keine Vorsorge. Zyniker brüsteten sich mit Rücklagen an Veronal; Belesene ließen den vieldiskutierten spanischen Philosophen Ortega Y Gasset für sich
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