Fröhliche Zeiten
Kritiker, die unbedingt ein Haar in der Suppe finden wollten, um ihre Klasse zu beweisen, der allgemeinen Heiterkeit erlagen. Diesen Heimvorteil durch wohlwollende Verwandtschaft machte einer allein durch seine Anwesenheit wieder wett, an dessen ehrlichem Wohlmeinen gewiß niemand zweifelte — Robert Gilbert. Wenn er in der Vorstellung saß, das heißt zumeist bei Premieren, passierte etwas Unvorhergesehenes. Vorzugsweise mit dem Vorhang. Er ließ sich nicht öffnen oder ging nicht mehr zu. Verhakte er sich psychokinetisch? Beim Theater hält man alles für möglich. Sorgen erzeugen Schwingungen, und die hatte Robert Gilbert als Autor. Für jedes Programm versah er eine bekannte Opernouvertüre mit Text. Viererkonferenz ä la Rossini, Hotelschickeria nach Carmen von Bizet, Gemeinschaftssauna nach Mozart. Nicht nur ihn, auch uns machten diese zungenbrecherischen Reimkunstwerke nervös. Bei dem stimmungsanheizenden Ouvertürentempo und den komplizierten Arrangements genügte ein falscher Einsatz, um das ganze Bravourstück zusammenbrechen zu lassen.
Als es — ein einziges Mal — passierte, behalfen wir uns mit einer Stegreifconférence im Konjunktiv: Dieses könne ein Fehler und der könne Absicht gewesen sein. Vielleicht habe man dem Publikum verdeutlichen wollen, wie schwer, wie vielschichtig das sogenannte Leichte mitunter ist. Das einmal transparent zu machen, sei uns selbstverständliche Höflichkeit, weil Mitwisserschaft bekanntlich die Spannung erhöhe. Unter herzlichem Beifall fingen wir dann noch einmal von vorn an. Stegreif hat in der Tat großen Reiz. Gerade wenn man en suite, das heißt jeden Abend dasselbe Programm spielt. Man kann Nuancen ausprobieren, kann improvisierenderweise seine Schlagfertigkeit prüfen und kräftigen. Der Einfall aus dem Augenblick machte Laune. Nicht nur bei den Mitwirkenden. Stegreif paßte in die Zeit. Jeder hatte beim Aufbau seiner Existenz improvisieren müssen oder mußte es noch immer. Dieser damals hochentwickelten, durch nichts zu ersetzenden Fähigkeit haben wir es zu verdanken, daß die Kleine Freiheit ihrem Publikum so erfrischend gegenwärtig geblieben ist. Literarischer Schliff und komödiantische Präsentation machten den Erfolg aus, nicht die politische Pointe.
Bei allen Schrittchen, um die wir uns drückten, inszenierte Trude Kolman souverän. Ironisch statt anklagend, ohne handgestrickte Anliegen oder verquaste Tiefe im Ausdruck. Weder Ehe- noch Siegelringe, noch gleiche Anzüge von der Stange beeinträchtigten den weltstädtischen Zuschnitt.
Anläßlich der Festvorstellung zum zweiten Geburtstag der Kleinen Freiheit schrieb Gunter Groll in der Süddeutschen Zeitung:
...das Ganze war, samt jenem Feuerwerk der fesselndsten Glanznummern und der glanzvoll entfesselten Darsteller, auch eine kleine Probe, wie lange aktuelles Theater sich hält. In der Kleinen Freiheit hält es lange — kraft seiner Form. Es wird, wenn der Inhalt unaktuell geworden ist, zum Dokument. Zum Dokument der Zeit und des Kabaretts und in diesem Fall unseres kühnsten und klügsten Zeitkabaretts — sagen wir’s ruhig zum hundertsten Male. Denn die Kleine Freiheit hat Geburtstag...
Mit dem dritten Umzug des Theaters auf die andere Seite der Maximilianstraße endete das literarische Kabarett Die Kleine Freiheit. Zur rechten Zeit. Die Große Freiheit ist es nicht geworden — heißt es in Kästners Song. Im wachsenden Wohlstand wurde der Zubiß unverbindlicher. Das Kollektiv löste sich auf, Kästner & Co gingen samt ihren Interpreten. Friedrich Holländer kam. Effektsicher baute er das Kanonenboot zum Vergnügungsdampfer um. Seine Revuen mit Hanne Wieder und Lukas Amann garantierten, von Trude Kolman inszeniert, weiter ausverkaufte Vorstellungen. Danach wurde die Kleine Freiheit Boulevardtheater.
Übrigens
Als wir noch schlanker waren, standen wir uns näher — sagt Komponist Friedrich Meyer. Dieser Satz reicht sozusagen weit über den Leibesumfang hinaus. Er zielt auf die Beziehungen von Mitmensch zu Mitmensch, damals, als die Freßwelle noch Utopie war. Wir hatten mehr Zeit füreinander, beziehungsweise wir nahmen sie uns. Oder, wie es Heinz Rühmann ausdrückt:
»Nach dem Theater, nach Filmdreharbeiten blieben wir zusammen. Weil wir nicht auseinander gehen konnten .« Das hat er mir fünfunddreißig Jahre später gesagt. Jetzt sei es nicht mehr so. Die Feststellung bleibt nicht auf Künstlerkreise beschränkt. Sie gilt auch unter Freunden, Bekannten. In Geschäften, auf Banken
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