Fröhliche Zeiten
mißglücktem ersten Akt vom Raub der Sabinerinnen einfach mit Hasemanns Töchter fortfuhren, wurden Die Acharner an diesem Abend ein ausgesprochener Lacherfolg.
Die Kleine Freiheit war ein politisches Kabarett. Nicht nur. Sie verstand sich als Lachventil für Zeiterscheinungen aller Art, verrutschte nicht zum weltanschaulichen Tribunal. Keines der Mitglieder war durch Partei- oder Gesangbuch in seiner freien Meinung behindert. Niemand disqualifizierte mit ungefilterten Anliegen oder Fanatismus sich selbst. Abgesehen von einigen eratischen Böcken, die frontal ohne Komik erlegt wurden, zielten wir aus dem Blickwinkel ironischer, beziehungsweise erotischer Distanz, begnügten uns damit, festzustellen, ohne den Wahnanspruch, das Land mit unserem Spielzeugschäufelchen umzugraben. Wir blieben Snobs, auf Spaß mit Grazie bedacht.
Die Themen lagen, wo sie immer liegen — auf der Straße. In diesen Jahren der Wende zum Wunder gab nicht nur der wirtschaftliche Aufschwung Anlaß, sich zu wundern. Vor allem die Restauration überwunden geglaubter Vorstellungen erwies sich neben Schildbürgerstreichen und schon wieder verpaßten Chancen als zuverlässiger Zündstofflieferant.
Wir beschmutzten das Nest, damit es sauber bleibe. Wiederbewaffnung, Ruhe und Ordnung, schlagende Studentenverbindungen, weiße Westen mit braunen Flecken, Korruption, Rüstungsaufträge, prügelnde Lehrer und verwandte Ertüchtigungsmaßnahmen, NS-Richterkumpanei und andere alte Kameraden nahmen wir uns vor. Aber auch das Kulturleben, der deutsche Film, Fürstenhochzeiten, Föhn, Kohle und Stahl, Schickeria, olympischer Chauvinismus, die Schlafzimmerlage der Nation, Werbungsschwachsinn, Zugereiste und andere Gastarbeiter, Humorbeamte im Fasching, die deutsche Kolonie Tessin, Modeschauen, Festspiele, Antiquitätenmessen, der Siegeszug der Mittelmäßigkeit und nicht zuletzt Soraya, die Kaiserin der Regenbogenpresse, boten reichlich Reibungsflächen, um Gelächter zu erzeugen.
Nicht immer zur Freude aller. Da verließen zwei nordische Blondschöpfe in schwarzen Ledermänteln — noch immer Erkennungszeichen für gar nicht so ehemalige Angehörige der Waffen-SS — das Theater während der Pause und drohten: »Wir kommen wieder. Dann schlagen wir den Laden zusammen !«
Für uns ein Höhepunkt an Wirkung. Auch wenn sie ihr Versprechen nicht hielten. Sachschäden waren nach dem vorangegangenen Totalschaden für diese Generation kein einleuchtendes Mittel mehr.
Kabarettisten sind ihrer Natur nach Vorbilder für gewaltlosen Widerstand. Darauf beruhte zu einem guten Teil unser andauernder Erfolg. Die Regie verfolgte zumeist ernstere Absichten. Bei allem Qualitätsgefühl hatte Trude Kolman — wohl aus dem Berlin der Zwanzigerjahre herrührend — eine Vorliebe für allerlei seltsame Schrittchen, die bei uns weniger tänzerisch als gekünstelt wirkten. Trotz oder gerade wegen der Musikuntermalung.
Auf den Proben wehrten wir uns mit Albernheiten gegen solch pedale Vergewaltigung. Sofort pfiff Trude ab. Mit ihrer Trillerpfeife, nach der wir tanzen sollten. Ein unwürdiges Requisit, von dem sie behauptete, es schone ihre Stimme. Unabgesprochen zum Widerstand entschlossen, alberten wir weiter, entschuldigten uns nach dem nächsten Pfiff und bedauerten. Unsere Beine seien noch nicht textsicher; ob sie die Schrittchen nicht vereinfachen könne.
Doch die naturalisierte Lady blieb eisern. Wir ebenso. Wir stolperten, hielten uns aneinander fest und lachten laut. Nicht ohne uns wieder zu entschuldigen. Es sei nun einmal sehr komisch. Neue Versuche ließen wir scheitern. Bis sie schließlich die ungeheuerliche Drohung aussprach: »Wenn ihr nicht brav seid, nehme ich euch die Synkopen weg !«
Vor diesem fundamentalen Musikverständnis kapitulierten wir und hüpften fortan wunschgemäß. Entzückt lobte sie unseren guten Willen, nicht ahnend, was sich dahinter verbarg. Denn während unsere Beine ihrer Regie folgten, überlegten unsere Köpfe: Was machen wir stattdessen in der Premiere?
Wir fanden eine Lösung. Jedesmal. Eine bessere, lustigere. Trude blinzelte während der Premiere durch den hinteren Vorhang, der Zugluft aus dem Foyer abhielt. Vom Beifall des Publikums abgelenkt, übersah sie unser karges Beinspiel und freute sich ihrer gelungenen Inszenierung.
»Ihr wart sehr präzis !« lobte sie am Schluß in der Garderobe. »Und jetzt bitte jeden Abend genau so wie die Premiere .«
Wir nickten gemessen. Während der Laufzeit eines Programms kam sie
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