Fröhliche Zeiten
regelmäßig, um zu kontrollieren. Bewegte sich der rote Plüschverschluß im Hintergrund, warnten wir einander auf offener Szene.
»Trude ist am Vorhang — Sparfassung !«
Mit gebremstem Spaß am Spiel machten wir weiter. Bis sich hinten nichts mehr bewegte. Auf das Programm wirkte sich der tägliche Kleinkrieg vorteilhaft aus. Ohne unsere Spielfreude wären die Inszenierungen blasser ausgefallen — ohne Trudes Strenge hätten wir hemmungslos übertrieben.
Publikum ist ja zunächst eine ungeordnete Ansammlung von Stimmungen, Ansichten, Absichten und Sorgen bei unterschiedlichem Befinden. Diese Masse muß im Kabarett, wo nicht vierte Wand, sondern hinunter gespielt wird, durchgewalkt und zentriert werden. Je schneller, desto besser. Die oft sehr kurzen Szenen lassen wenig Zeit. Man muß sofort da sein. Um das zu erreichen, fahren die Darsteller ihre Antennen aus, reagieren auf feinste Schwingungen und richten danach instinktiv ihr Spiel. Scheinbar ganz bei der Sache, um die’s gerade geht, steuern sie ihre Wirkung wie ein Mädchen, das gefallen will. Die Besten, mit großem Reservoir an Erfahrung und komödiantischen Mitteln, sind wahre Ausstrahlungsathleten. Noch bevor ein Wort gesagt ist, halten sie die Zuschauer in ihrem Bann. Einer stand jeden Abend am hinteren Vorhang. Ein dunkler, höflicher und überaus begeisterungsfähiger junger Mann mit Brille. Gespannt verfolgte er die Entwicklung von Pointen, lachte mit dem Publikum, als wären sie auch für ihn neu und wich erst von der Stelle, nachdem der letzte Beifall verebbt war — unser Platzanweiser.
Tagsüber Student , schien er der Kleinkunst verfallen. Sein Engagement überstieg die Pflichten, für die er engagiert war, bei weitem. Intelligent und umsichtig machte er sich überall nützlich, tat immer das, was gerade nötig war. Genau genommen studierte er Kabarett — gewissermaßen im Trockenkurs. Sein Name war Dieter Hildebrandt.
Fehlte er einmal, so hatte das politische Gründe. Er hielt bei den Heimatvertriebenen einen Vortrag. An diesen Abenden sprang ein anderer, nicht minder Besessener für ihn ein. Dieser Ersatzmann, blond und rundlicher von Gestalt, war schon beim Theater, Regieassistent von Hans Schweikart an den Kammerspielen und sollte zum Generalintendanten aufsteigen — August Everding.
Er hat in der Kleinen Freiheit auch gespielt — den Urlaubsvertreter — und sagt über diese Zeit:
Immer wenn Frau Kolman im Sommer Gastspiele brachte, vor allem Kabarett, fiel Hildebrand als Kartenabreißer aus und übergab diesen Dienst dann mir - für 4,-DM pro Abend. Ich habe jede Aufführung gesehen und vor allem viel über Timing gelernt. Damals hat uns abends immer Gunnar Möller in sein Haus eingeladen — er war schon ein Star seit dem Film Ich denke oft an Piroschka — und wir alle freuten uns, dort zu sein.
Frau Kolman hat immer gerne darauf hingewiesen, daß so meine theatralische Karriere begonnen hat. Damals ahnte ich es noch nicht. Das einnehmende Wesen habe ich behalten, hoffentlich auch die Präzision des Kabaretts. Eines weiß ich immer noch: alle Kabarett-Texte waren bissiger, griffiger als heute. Es ging ein Raunen durchs Publikum, wenn ein besonders an-griffiger Text formuliert wurde. In unseren Knochen war noch ein Rest von einer » Ja darf man das denn«-Stimmung.
Dies war die Zeit des Aufbruchs. Man brach wirklich auf. Es war keine unfröhliche Zeit, aber das Kabarett vermochte unser Lächeln zum Gerinnen zu bringen. Wir waren manchmal nach der Aufführung wirklich zu einem Aufbruch entschlossen — und waren doch nur in einem Kabarett-Keller gewesen. Damals war Kabarett noch nicht etabliert.
Mit dem sündteuren Herausbrechen eines Pfeilers im neuen Haus an der Maximilianstraße kam der Durchbruch. Unsere Programme waren in München Tagesgespräch. Die Schickeria zitierte aus den Kritiken. Man ging in die Kleine Freiheit. Und wollte danach nicht nach Hause, sondern weiterlachen mit dem Ensemble, das man auch privat für ungemein witzig hielt.
In Helen Vita, der Schweizerin mit dem Zeitlupensex, in dem dreistäugigen Luxusgeschöpf Eva-Maria Meineke und später in Monika Greving von der ehemaligen Schaubude hatten wir attraktive Aktricen. Auch Gertrud Kückelmann, die rothaarige Lady Sybille von Gymnich und die Schwabinger Femme fatale Inge Scheck spielten bei uns. Der Kostümaufwand gewann großstädtischen Chic.
Männliche Zuschauer beneideten die männlichen Darsteller, die diesen Damen allabendlich hautnah sein
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