Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
mitlachen, das heißt immer wissen, woran er ist. Ein gutes Extempore erheitert beide Seiten. In dieser Kunst übten wir uns unablässig. Helen Vita, die Zartmollige mit den verführerischen Sirenentönen, konnte extemporieren, ohne den Text zu verlassen. Sie betonte einen politischen Satz derart lasziv, daß er einen Doppelsinn unterhalb der Gürtellinie bekam und blickte dabei züchtig-ernst.
    Größter Ernstbleiber aber war Johnny aus dem Hause Pauls-Harding. Er hatte Geburtstag und brachte, wie jeden Abend, Kästners Chanson vom Schuster Voigt alias Hauptmann von Köpenick. Die Uniform neben sich im Pappkarton, saß er auf einer Parkbank. Da erschien, was in öffentlichen Anlagen ja möglich ist, ein Passant: Rainer Penkert ging in abenteuerlicher Aufmachung mit irrem Blick vorbei und sagte mitten in den Schustertext Mahlzeit!
    Kurz darauf erschien Helen Vita mit schwingendem Handtäschchen wie auf Kundenfang. Auch sie hauchte Mahlzeit. Peter W. Staub folgte auf Plattfüßen und mit dem Stock tastend; die Brillen auf seiner Nase wurden von einem zusätzlichen Zwicker gehalten. Eva-Maria Meineke stolperte mit nervösen Zuckungen, Monika Greving schien von einem Juckreiz geplagt, das gesamte Ensemble samt Pianist und Bühnenmeister marschierte zur Gratulationscour vorbei und jeder sagte Mahlzeit! Gratuliere! konnten wir nicht sagen — der Zuschauer hätte es nicht verstanden. Aber Mahlzeit im Park — das war möglich.
    Johnny behielt die Nerven. Unbeirrt und ohne Zwerchfellvibrato sprach er seinen Text weiter, schob gelegentlich seinerseits ein dankendes Mahlzeit dazwischen, oder flüsterte todernst und ohne Lippenbewegung Sehr komisch! Sehr komisch! Haha!
    Trude Kolman stand zufällig nicht hinten am Vorhang. Sie hätte den Hauptmann von Köpenick bewundern müssen, ohne dieses Gefühls recht froh zu werden. Das Publikum dagegen applaudierte unbefangen.

    Das beste Kabarett Deutschlands, wie wir genannt wurden, verzeichnete bei aller Unbestechlichkeit in politischer Zeitkritik seine größten Erfolge mit zwei vergleichsweise unpolitischen Programmen. Auch das ist Zeitkritik. Plüsch und Pleurösen, eine Jahrhundertwende-Nostalgieklamotte mit Dreikaiserjahr, Froufrou-Frivolität, dekadenten Militärs, Stettiner Sängern, Maxim’s, Aufklärung einer höheren Tochter, Cinematographentheater, Palais de danse und Feuerwehrball heizte die Stimmung an, daß das Publikum vor Vergnügen trampelte. Jeden Abend!
    Schon der Zuschauerraum bekam bei noch geschlossenem Vorhang Sonderapplaus. In nächtelanger Schnipsel- und Klebearbeit hatte Bernhard Wicki, Freund und Gönner des Etablissements, sämtliche Wände mit einer Fotomontage-Collage zeitgenössischer Schnappschüsse tapeziert, daß Max Ernst ihn glatt als Bruder angenommen hätte, wäre er von Paris herübergefahren.
    Wie heißt es doch? Ein Theater kommt nur dadurch in die Höhe, daß jeder mehr tut als seine Pflicht.
    Der Satz stand einmal im Programmheft.
    Bier unter Palmen — so hieß der zweite Höhepunkt. Das Programm zeigte Deutsche, auf eine Insel verschlagen. Was tun sie dort? Sie machen alles genau so wie zu Hause. Sogar den Rhein, der hier nicht fließt, legen sie an. Präsident des Restaurationsstaates wird der einzige Eingeborene — ein Schwarzer, der seltsamerweise schwäbisch spricht. Über ein hinterlassenes Funkgerät des deutschen Kreuzers Emden aus dem Ersten Weltkrieg hatte er jahrelang Kontakt mit einem Stuttgarter Amateuerfunker.
    Vom Entwurf her genug Zündstoff für ein hochpolitisches Programm. Doch im exotischen Urwald wurde das Pulver naß. Eine paradiesische Fülle komödiantischer Ablenkungen überwucherte das bundesdeutsche Kleinkaro, entfesselter Spieltrieb zerschwelgte Zeitkritik. Schuld daran war nicht zuletzt Erich Kästner. Wie immer kam er zur Premiere und lachte, lachte, lachte. Wenn wir aus Freude darüber noch etwas zulegten, lachte er noch mehr. Und nicht nur er. Als unsere Damen beim Vermessen des anzulegenden Rheins das Wigalaweia wagnerscher Rheintöchter anstimmten und in dem Bekenntnis gipfelten:

    Wir wollen einen deutschen Rhein ha-ha-ben!
    Wir wollen keinen fremden Rhein ha-ha-ben!

    ächzten die Sitzreihen, schüttelte sich das Publikum. Der Buchstabe H im Rhein stört die Zweideutigkeit ja nur beim Lesen.
    Lachbazillen, denen kein Ernst gewachsen war, verstreute auch Trude Kolmans erster Ehe-Egon, der Exberliner Egon Jameson. Sein mitrailleusenhaftes Staccato-Gelächter riß das Auditorium so mit, daß selbst

Weitere Kostenlose Bücher