Fröhliche Zeiten
Sitzplatz an. Freunde und Bekannte halfen einander bei der Wohnungssuche, ohne eine Vermittlungsprovision zu erwarten. Begehrte ein Fremder, man möge ihn im Auto mitnehmen, kam einem nicht automatisch der Gedanke, er wolle einen möglicherweise unterwegs ausrauben.
»Leit, laßt’s doch d’Leit naus !« mahnte der Weissferdl in seinem Couplet von der Trambahnlinie acht. Daran hielten sich die Menschen auch bei Haustüren. Wer hinein wollte, ließ Herauskommenden den Vortritt. Bekam einer unterwegs Durst, nahm er einen Schluck aus der mitgeführten Bier- oder Limonadenflasche und machte sie mit dem festangebrachten Drahtverschluß tropf sicher wieder zu. Kein Kronenkäppchen blieb liegen, kein eigens gekaufter Verschlußdeckel ließ sich nicht mehr finden.
Linksabbieger mußten noch nicht rechts abbiegen; auf Bankauszügen waren die roten Zahlen noch rot; es wurden keine längst bezahlten Rechnungen penetrant angemahnt. Gab es Irrtümer, konnten sie in einem Gespräch beigelegt werden. Weil sie Menschen unterlaufen waren, nicht Computern, bei denen man Verständnis haben muß, daß sie keinen Rückwärtsgang besitzen.
Konzerne schickten zu Reparaturen an ihren Geräten Fachleute in die Behausungen, ohne für die Anfahrt eine Summe zu berechnen, als wären sie eigens von auswärts mit dem Taxi gekommen. Sogar in modernsten Büros ließen sich die Fenster selbstverständlich öffnen. Keine Zwangsversorgung mit Betriebsklima aus der Blechröhre.
Und: Es gab noch Sonntagskinder! Das Berufsethos verbot den Ärzten Eingriffe in den Zeitplan der Natur, nur um sich das Wochenende freizuhalten.
Es gab mehr Menschlichkeit und weniger Sprüche.
Die Polizei mußte sich nicht zum Freund und Helfer hochloben. Sie verfügte über unverwechselbare Persönlichkeiten. Da gab es — vor der Verampelung — einen Schutzmann am Münchner Stachus. Er stand auf einer Kanzel und regelte den Verkehr in Handarbeit. Aber auch mit Zurufen: »Kommen S’ Fräulein. Jetzt ist der richtige Moment. — So. Gleich kommen die andern wieder. Bleiben S’ noch einen Moment auf der Bremse .«
Er war ein dunkler, gemütlich runder Mann aus dem Badischen und so beliebt, daß es sogar einen Schlager über ihn gab. »Ja am Stachus hat der Schutzmann alle Hände voll zu tun...«
Vor Weihnachten war der Verkehr schon damals besonders dicht. Am Stachus kam es zu Staus. Blinker und Winker wurden betätigt wie an einer Engstelle, auf die jedoch kein Schild hinwies. Weil es sie gar nicht gab. Auto- und Motorradfahrer drängten zur Kanzel, hielten dort an und reichten dem beliebten Schutzmann ein Geschenk hinauf. Dazu hupten sie Fröhliche Weihnachten .
Die Liste zu verlängern, sähe nach Verdrossenheit aus. Dazu aber besteht kein Grund. Mit wachsendem Umweltbewußtsein steigt auch das Gefühl für den Nächsten wieder im Kurs.
Ateliergeflüster
Zwischen Kabarett und Film bestand eine Art Magnetismus. Saß ein bekannter Regisseur in der Vorstellung, wurde mit gesteigerter Laune gespielt. Vielleicht fiel man auf?
Film bedeutete, sich vor ungleich größerem Publikum produzieren zu können, für ungleich mehr Geld. Die Hoffnung auf eine große Kinokarriere trog jedoch. Den Regisseuren war das von vornherein klar. Sie suchten Witz.
Ein Kabarettist mag sich als griffiger Typ eignen, um eine blasse Rolle aufzumöbeln, er mag es verstehen, schwache Stellen, die in jedem Drehbuch Vorkommen, mit Pointen anzureichern. Mehr nicht. Sein ironischer Blickwinkel, das Neben-sich-selber-stehen, ist seine Begrenzung. Menschengestaltung, Gefühle bis zum Kitsch, das Samtauge des romantischen Helden, die Figur, mit der sich der Zuschauer identifiziert, bringt er mit seinen spezifischen Mitteln nicht. Er bleibt Kleinkünstler. Intellektuell zweifellos überlegen, aber nicht finanziell.
Der Kabarettexter in mir begriff das schneller als der Kleinkünstler und die angebotenen Rollen aus dem Metier der bewegten Bilder bestätigten es endgültig: lauter Verrückte. Rasender Reporter, Veitstänzer, Schwarzhändler, Zirkusconférencier, Mädchenhändler, Jazzsänger und so fort. Später wiesen mich gar Hauptrollen in meine Grenzen zurück. Zunächst aber ging’s zügig voran. Von sekundenlangen zu minutenlangen Auftritten, den Boten-Rollen auf dem Theater vergleichbar, Kleindarsteller, die Schreckliches vermelden und den Stars damit Gelegenheit geben, mit bewegtem Mienenspiel die Schwere der Entscheidung vorzuführen. Weiter brachte ich es nicht.
Wer zeitkritisches
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