Frösche, die quaken, töten nicht: Roman (German Edition)
Leiche
wartet.«
4
›Das nenne ich aktuell, mordsschnell,
dieser Barg‹, dachte Liv grinsend, während sie das Handy zurücksteckte und sich
umsah. Sicher hätte sie ihn auch umgehend angerufen, um ihm ihre ›brandheiße Geschichte
mit weiterem Recherchebedarf‹ für sein über die Düsseldorfer Stadtgrenze weit hinaus
bekanntes Blatt zu verkaufen. So herum war es zwar ungewöhnlich, aber letztlich
einfacher, da sie ihn nicht erst überzeugen musste. In kürzester Zeit erstellte
Liv sich nun gedanklich einen Zeitplan. ›Bis die Konkurrenz anderer Zeitungen auf
diesen Fall aufmerksam wird und auf meinem Stand der Dinge ist, habe ich die Sache
vielleicht bereits gelöst.‹ Nun wurde die Geschichte professionell.
Sie wandte
sich der Leiche zu. Mit routinierten Handgriffen zog sie sich das Haargummi vom
halblangen Pferdeschwanz, steckte es kurz in den Mund und strich sich ihre braunen
Haare mit zwei Händen nach hinten glatt, sogar die Strähnen vom herausgewachsenen
Pony passten mit hinein. Mit nur wenigen Umdrehungen fasste sie den Pferdeschwanz
wieder neu und formte ihn gut frisiert.
›Okay, du
bist Chef des Hotels und stirbst hier einfach so vor den Gästen? Das ist doch geschäftsschädigend.
Warst du krank oder hat tatsächlich jemand nachgeholfen?‹
Liv sprach
mit ihren Leichen. Manche Kollegen, die das mitbekamen, hielten sie deswegen für
verrückt und pietätlos, ihr war es egal. Für sie war dieses laute Denken ein Zwiegespräch
mit dem Fall, mit den Fakten – und mit der Persönlichkeit, die dem Toten noch vor
kurzer Zeit innewohnte. Auf diesem Wege bekam Liv immer Antworten.
Sie sah
keine Pillendöschen oder Medikamentenverpackungen auf dem Frühstückstisch. Der Kellner
hatte dem Arzt nichts von irgendeiner bekannten Erkrankung gesagt. Sie fand auch
keine Tasche auf dem Boden, in der Medikamente enthalten waren. Fast ungewöhnlich
für einen derart fettleibigen Mann über 80 Jahre.
Liv zückte
ihr iPhone, sah sich, indem sie sich ihrer Alleinstellung versicherte, kurz um und
schoss ein Foto nach dem anderen.
›Diabetes
hatte er sicher, aber ein Schock durch Unterzuckerung und auch ein Herzinfarkt kündigen
sich durch Vorzeichen an, die sich in diesem Raum nicht hätten verbergen lassen.
Bleibt noch ein Hirnschlag? Dann hätte sich die anonyme Informantin sehr getäuscht.
Sie wusste mehr.‹
Vorsichtig
untersuchte Liv weiter den Tatort. Zuerst den Tisch, an dem der Tote noch immer
saß. Abgesehen von dem überall verspritzten Müsli, entdeckte sie keine Besonderheit.
›Hast du
immer an diesem speziellen Platz gesessen? Gingst du jeden Morgen zur selben Zeit
zum Frühstück? War es immer Müsli? Dann musst du aber über den Rest des Tages verteilt
noch eine Menge fettiger Würste zur Ausgestaltung deines Bauchumfanges verspeist
haben.‹ Liv bewegte sich noch näher an die Leiche heran. ›Wie bist du gestorben?
Komm schon, gib mir einen Hinweis.‹
Äußerliche
Verletzungen sah sie keine, keine blutenden Wunden, keine sichtbaren blauen Flecke.
Hätte der
Kellner oder einer der Gäste die Möglichkeit gehabt, ihn im Vorbeigehen mit einer
spitzen Waffe zu erstechen? Es musste etwas sein, was unbemerkt und lautlos in seinen
Körper gedrungen war. Gift? War es ein vergiftetes Müsli?
Beim Anblick
des schleimigen Flockenbreis im Teller schüttelte sie sich. ›Ekelig – und auch nur
vermeintlich gesund, wie man sieht.‹
›Also ein
Giftmord? Wer hat das Gift untergemischt? Nur in seinem Teller?‹ Liv drehte sich
um und ging zum Büfett.
Wenn es
ein Mord war, gab es Spuren. Jeder Mörder hinterließ Spuren. Immer. Die Kunst war
lediglich, sie zu erkennen.
5
Am Eingang zum Frühstücksraum hielt
mittlerweile ein Mitarbeiter im schwarzen Anzug Wache. Die Tür blieb zu, niemand
durfte den Raum betreten. Bevor sie realisierten, dass Liv hier war, entschloss
sie sich zum forschen Angriff. Sie ging zur Tür und gab dem Mitarbeiter routiniert
die Anweisung, dafür zu sorgen, dass jeder Gast, der gefrühstückt hatte, registriert
werden und sich für die Fragen der Polizei zur Verfügung halten musste. »Und fragen
Sie, ob es jemandem von den Frühstücksgästen unwohl ist. Sagen Sie dem Arzt, er
soll bleiben! Rufen Sie die Polizei an! Sagen Sie, es könnte auch ein Mord, eine
Vergiftung gewesen sein!«
»Glauben
Sie wirklich …?«, fragte der Angestellte mit aufgerissenen Augen und einem Grinsen.
Derartige Sensationsgier war Liv zuwider. Sie trieb den Mitarbeiter an, wegen
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