Frösche: Roman (German Edition)
den Staken und die Pfirsiche auf und sprang in die reißende Strömung. Ich kraulte meiner Frau entgegen, um sie zu retten.
In dem Moment, als Kleiner Löwe ins Wasser sprang, entstand ein großes Fragezeichen in meinem Herzen. Später berichtete sie mir – und sie tat es in einem Tonfall, als berichte sie mir von einer erfolgreich absolvierten Arbeit –, sie sei genau in dem Moment in den Fluss gesprungen, als sie frisches Blut gerochen habe. Diesen unverwechselbar heiligen, reinen Geruch des Blutes einer Gebärenden. Auch habe sie das Blut an Galles Schenkeln entdeckt. Sie sei mit voller Absicht ins Wasser gesprungen – so konnte man diesen Sprung natürlich auch erklären –, um Zeit zu gewinnen! Sie hatte ihr Leben riskiert.
Sie erklärte mir, sie habe für die kleine Seele auf dem Fluss gebetet: ›Galle, beeil dich! Bekomm jetzt dein Baby! Jetzt! Beeil dich! Schnell, ist dein Kind erst durch die Ofentür, so zählt es als Menschenleben, so ist es ein Bürger der VR China, so wird es beschützt. Kinder schmücken unser Vaterland wie Blumen! Kinder sind die Zukunft unseres Vaterlandes!‹
»Natürlich«, fügte sie hinzu, »habe ich mir nicht eingebildet, dass ich Gugu hinters Licht führen könnte. Wenn ich nur einmal nicht gleich pariere, weiß sie sofort, dass ich was auf dem Kerbholz habe.«
Als Kleiner Löwe und die anderen über Bord gegangenen Kader der Geburtenplaner endlich wieder alle an Bord waren, hatte sich das Floß der Wangs schon mehrere Kilometer entfernt.
Qin Strom war der Bootsmotor ausgegangen, nun war er schweißüberströmt dabei, ihn neu zu starten. Gugu donnerte und tobte. Kleiner Löwe und die Kader saßen im Boot, hielten die Köpfe über den Rand und erbrachen in einem fort Wasser.
Plötzlich hielt Gugu inne.
Sie polterte nicht mehr, sondern wurde still. Über ihr Gesicht schlich ein bitteres, trostloses Grinsen. Ein Sonnenstrahl kam zwischen den Wolken hervor, huschte über ihr Antlitz und verlor sich in den wogenden Wellen auf dem Wasser. In diesem Moment sah sie aus wie ein Held, der am Ende ist und keinen Ausweg mehr sieht.
Sie sagte leise zu Qin Strom: »Hör auf, dich zu verstellen! Schluss mit dem Theater!«
Qin Strom schaute sie einen Moment lang überrascht an. Dann zündete er augenblicklich und problemlos den Motor. Das Schnellboot preschte pfeilgeschwind auf das Floß der Wangs zu.
Ich klopfte Shizi den Rücken und beobachtete verstohlen die Tante. Sie sah niedergeschlagen aus, die Augen nur einen Spaltbreit geöffnet; ab und an bleckte sie die Zähne und grinste.
An was sie wohl dachte? Mir fiel plötzlich ein: Sie ist schon siebenundvierzig! Ihre Jugend und die Blüte ihres Lebens sind vorüber und sie bewegt sich auf dem Weg jenseits ihrer Lebensmitte. In ihren leidgeprüften, lebenserfahrenen Gesichtszügen konnte man schon die Wehmut des Alters lesen.
Ich erinnerte mich an das, was meine Mutter uns zu Lebzeiten mehrfach erklärt hatte: »Wozu sind die Frauen geboren? Frauen sind zum Kinderkriegen geboren. Die Frau erwirbt durch das Kinderkriegen Stand und Rang, sie erwirbt durch das Kinderkriegen Respekt und Würde, und sie empfängt durch das Kinderkriegen im höchsten Maße Glück und Ehre. Kann eine Frau keine Kinder bekommen, so ist das eine Tragödie. Denn ohne Kinder ist sie keine richtige Frau. Das Herz einer Frau, die nie Kinder geboren hat, wird hart; und wenn sie keine Kinder geboren hat, altert sie auch besonders schnell.«
Mutter hatte damit Gugu gemeint. Aber sie hatte es nie in ihrer Anwesenheit gesagt. Hatte das gealterte Aussehen der Tante wirklich etwas damit zu tun, dass sie niemals Kinder bekommen hatte? Sie war siebenundvierzig. Wenn sie sich jetzt beeilte und heiratete? Könnte sie dann vielleicht noch welche haben? Aber woher einen passenden Mann nehmen?
Tantes Boot hatte das Floß der Wangs im Nu eingeholt. Als sie ihm näher kamen, drosselte Qin Strom die Geschwindigkeit und manövrierte das Boot sachte längsseits.
Wang Bein stand mit dem Staken in der Hand am Heck, in einer Pose, als wolle er jeden Augenblick bis aufs Blut kämpfen.
Wang Leber hatte die kleine Ohr auf dem Arm. Er saß am Bug des Floßes.
Chen Nase stand mitten auf dem Floß, hielt seine Frau umfasst, weinte und lachte und brüllte gleichzeitig: »Galle, beeil dich und bring unser Kind zur Welt! Nun mach schon, Liebes. Krieg es jetzt, dann darf es am Leben bleiben! Wenn du’s jetzt kriegst, dann trauen die sich nicht mehr, uns zu töten! Wan Herz! Kleiner
Weitere Kostenlose Bücher