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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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spielten bei diesem Theater den Chor. Die alteingesessenen Pekinger hielten wie Pech und Schwefel zusammen, prahlten mit ihrem Status und ihrer großstädtischen Herkunft und nötigten uns, zu bezahlen und um Verzeihung zu bitten.
    Sugitani san, ich Weichei habe bezahlt und mich entschuldigt.
    Lieber Freund, wieder zu Hause haben wir beide wie die Schlosshunde geweint und beschlossen, Peking den Rücken zu kehren und wieder nach Gaomi zu ziehen. Weil wir gedacht haben, hier in Gaomi ist unsere Heimat und hier drangsaliert uns keiner.
    Wer hätte annehmen können, dass diese zwei Frauen hier an Boshaftigkeit und Brutalität den Pekingerinnen in nichts nachstanden?
    Ich kann nicht begreifen, lieber Freund, wie Menschen es fertigbringen, so unglaublich brutal zu sein, Sugitani san. Und, o Schreck! Nun war auch noch dieser leopardengleiche Junge wieder im Anmarsch. Die Tintenfischstücke hatte er inzwischen aufgegessen. Wenn er jetzt mit dem Spieß zustach, würde er noch schärfer und tiefer stechen. Ich wusste plötzlich, dass er der Sohn der Kleineren und dass die Korpulente seine Tante war. Nackter Überlebenswille zwang mich auf die Beine. Ich wollte weg.
    Wegrennen war ja schon immer meine Stärke gewesen. Die langen Jahre des Lebens im Überfluss hatten mich vergessen lassen, dass ich ein wirklich guter Rennläufer war. In der lebensbedrohlichen Lage, in der ich jetzt steckte, konnte mein läuferisches Talent mir wieder von Nutzen sein. Die Frau wollte mich noch aufhalten, der Junge schrie schon aus Leibeskräften, da brüllte ich los wie ein Hund, den man in die Enge getrieben hat. Mein Anblick, der ganze Körper blutüberströmt, mit eingeschlagenen Zähnen und blutendem Mund, hatte sie wohl doch erschreckt – ich bin mir sicher, denn in dem Moment, als ich aufschrie, sah ich ihre versteinerten Gesichter. Wenn Frauen einen solchen Gesichtsausdruck haben, werde ich immer weich und mein Herz fließt über vor Mitleid.
    Ich machte mir ihre Bestürzung zunutze und sprang mit einem Riesensatz über den schmalen Spalt zwischen zwei Autos hinweg. Und jetzt lauf, Wan Fuß, Wan Renner! – der fünfundfünfzigjährige Kleine Renner hatte sein altes Tempo wiedererlangt und stob davon. Ich rannte wie der Blitz durch die kleine Straße mit ihrem Duft nach Brathühnchen, Fisch, gebratenem Hammelfleisch und vielen anderen mir unbekannten Gerüchen. Ich spürte, wie meine Beine leicht wie Heu wurden, beim Auftreten schien der Boden unter mir hochzuschnellen und dem nachfolgenden Schritt noch mehr Kraft mitzugeben. Ich war wie ein Reh, wie eine Antilope, wie Superman, der auf dem Mond gelandet und schwerelos wie eine Schwalbe ist. Ich spürte, dass ich ein Ross war, ein edler Achal-Tekkiner, ein Himmelspferd, ein Blüter, der mit seinen Hufen fliegende Schwalben zu treffen vermag, unbeschwert, losgelassen.
    Dieses Achal-Tekkiner-Gefühl war allerdings von kurzer Dauer, nur ein kurzes Traumbild. In Wirklichkeit keuchte ich schwer, ich schnaufte, als müsste ich Feuer spucken, mein Herz bummerte bis in mein Trommelfell, die Brust wollte mir zerreißen, der Kopf zerspringen, vor den Augen wurde mir sekundenweise schwarz, und meine Adern waren so prall, dass sie dem Druck fast nicht standhielten. Der Überlebenstrieb holte aus meinem Körper kurz vor dem Kollaps die letzten Kraftreserven heraus; es war ein Überlebenskampf, der seinem Namen alle Ehre machte. Ich hörte dicht neben mir ein donnergleiches Brüllen. Von vorn kam ein vollbärtiger junger Mann im schwarzen Sun-Yat-Sen-Anzug 25 , er hatte grünblaue Augen wie zwei Glühwürmchen, die nachts in den Bergen die Straße überqueren. Gerade, als die schneeweißen Finger seiner Hand mich festhalten wollten, spie ich einen Mundvoll mit Blut vermischte Spucke aus, der sein gepflegtes Gesicht augenblicklich verfärbte. Ich hörte seinen Schmerzensschrei, dann hielt er die Hände vors Gesicht und ging in die Knie. Sugitani san, es tut mir aufrichtig leid, ich weiß, dass sein Versuch mich aufzuhalten, sicher eine ehrenvolle Tat war und von seiner Tugend zeugt. Ich dagegen verhielt mich wie ein Tintenfisch, wenn er in Gefahr ist. Dass ich ihn beschmutzte, seine Augen mit meinem Auswurf verletzte, ist mir zutiefst unangenehm. Wäre ich ein wirklicher Ehrenmann, so hätte ich doch das Rückgrat besessen, jedes spitze Messer hinter mir zu ignorieren; ich hätte ruhig angehalten und mich bei ihm entschuldigt.
    Aber ich bin kein Ehrenmann, Sugitani san, ich bin des Umgangs mit Ihnen

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