Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
nicht würdig.
    Am Straßenrand standen noch ein paar edle, biedere Naturen, die mich anriefen, aber nicht auf mich zukamen. Ihnen war wohl der Mut vergangen, als sie mich Blut spucken sahen. Sie warfen ihre halb ausgetrunkenen Coca-Cola-Dosen auf mich, das sojasoßenfarbene amerikanische Kult-Getränk schäumte golden, ich schüttelte es ab ...
    Teurer Freund, alles, was geschieht, geht irgendwann zu Ende, wie gut oder wie schlimm die Sache auch sein mag, sie wird einen Ausgang haben.
    Diese Verfolgungsjagd, die sich in ihr Gegenteil verkehrt hatte und zur Flucht auf Leben und Tod geworden war, fand ihr Ende, als ich schließlich auch den allerletzten Funken Kraft aufgebraucht hatte und bewusstlos vor dem Eingang der Chinesisch-Amerikanischen Mutter-und-Kind-Klinik zusammenbrach. Im Moment meines Zusammenbruchs kam ein wie Lapislazuli glitzernder, blauer Ferrari von der zwischen Bäumen im Grünen gelegenen Klinik und verließ durch den von Blumenduft geschwängerten Garten das Krankenhausgelände. Mein Kollaps hatte bei den Leuten im Auto zweifellos einen sehr unschönen Eindruck hinterlassen, blutüberströmt am ganzen Körper, wie ich war, glich ich einem vom Himmel gefallenen Hundekadaver. Zuerst waren sie wohl erschrocken, dann dachten sie daran, dass so ein Vorfall Unglück bringen könnte.
    Je reicher die Leute, desto abergläubischer sind sie, das weiß ich. Sie glauben mehr noch als die Armen an das Schicksal, hängen viel mehr am Leben als jene. Das ist normal. Die Armen geben sich immer schnell auf, nach dem Motto: Einen angestoßenen Krug kann man auch gleich fortwerfen, er ist wertlos. Die Reichen dagegen hüten ihren Wohlstand wie eine nicht mit Gold aufzuwiegende blauweiße Porzellanvase.
    Wenn ich da plötzlich vor ihrem Auto bewusstlos umfalle, erschrickt der Ferrari wie ein kleines Füllen, steigt und wirbelt mit den kleinen Vorderhufen in der Luft und lässt mit großen Augen sein ängstliches Wiehern hören. Es tut mir hundertprozentig leid. Wirklich sehr leid.
    Mein Körper zuckte, ich wollte nach vorn kriechen, für den Ferrari den Weg frei machen. Aber wie ein präpariertes Insekt, das am Schwanz mit einer Nadel aufgespießt ist, konnte ich mich nicht fortbewegen.
    Ich musste an meine Kinderjahre zurückdenken, ja sogar noch als junge Männer hatten wir dieses böse Spiel gespielt: Wir hatten dunkle oder grüne Motten gefangen, sie am Hinterteil durchbohrt und an die Wand gepinnt. Hatten wir keine Stecknadeln, suchten wir uns Dornen. Dann beobachteten wir ihren Todeskampf, wie sie versuchten, vom Fleck zu kommen, wie sie kämpften und ihr Körper ihnen nicht mehr gehorchte. Ich hatte damals keine Spur von Mitleid, es hatte mir Spaß gemacht, ihnen zuzuschauen.
    Verglichen mit dem Insekt bin ich riesenhaft, so riesig, dass es mich nicht vollständig erfassen kann. Für einen kleinen Käfer bin ich eine geheime Macht, die alle Nöte und Katastrophen verursacht. Er ahnt nichts von meiner mörderischen, barbarischen Hand, er spürt nur die Stecknadel, den Dorn.
    Jetzt habe ich am eigenen Leib die gleiche Not erfahren, wie sie die von mir ermordeten Käfer erlitten. Ihr Käfer und Fliegen und Motten, es tut mir so leid, wirklich leid. I am sorry!
    Ich sah, wie ein Mann hinter dem Steuerrad die Hupe betätigte. Einen angenehmen Ton hatte sie. Das hieß doch, dass der Fahrer ein kultivierter, geduldiger Mensch sein musste; kein gewöhnlicher Neureicher. Bei einem solchen würde sich die Hupe wie Fliegeralarm anhören. Der würde die Autoscheibe runterkurbeln, den Kopf rausstrecken und mir eine Salve schmutziger Schimpfwörter entgegenfeuern. Für diesen Ferrari fahrenden Gutmenschen wollte ich gern schnellstmöglich vorwärts kriechen, ihm den Weg freimachen, doch mein Körper gehorchte mir nicht.
    Der Fahrer hatte nun keine Geduld mehr und stieg aus. Er trug mandelfarbene Freizeitkleidung mit einem orangefarbenen Karomuster an Kragen und Manschetten.
    Plötzlich schoss mir eine Erinnerung durch den Kopf: Als ich noch in Peking gearbeitet habe, hat mir einmal ein Kenner internationaler Marken erzählt, wie der chinesische Name dieser Marke heißt. Aber ich habe ihn vergessen. Ich kann mir die Namen bekannter Marken nicht merken. Man könnte sagen, dass ich dagegen eine innere Abwehr habe. Es ist die Verachtung der Minderwertigen für die Leute aus der Oberschicht. Im Grunde nur eine Art und Weise, seinen Neid zum Ausdruck zu bringen. Wie wenn man die gute chinesische Hefenudel vor dem Brot lobt und

Weitere Kostenlose Bücher