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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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die Sojabohnenpaste vor dem Käse.
    Der Mann beschimpfte mich nicht, er trat auch nicht nach mir, er befahl nur dem Pförtner am Hauptausgang: »Schafft ihn schnell zur Seite.«
    Nachdem er seine Anweisungen gegeben hatte, musste er blinzeln, streckte den Hals, hielt die Nase in die Sonne, um sodann einen lauten Nieser zu tun.
    Längst Vergangenes bestürmte mich, wieder hatte ich ihn an seiner Art zu niesen erkannt. Unterlippe, mein Mitschüler aus der Grundschule, der ein hoher Kader gewesen war und heute ein Vermögen besaß. Angeblich hatte er als Schwarzhändler Kohlen verschoben, zu einer Zeit, als der Schwarzhandel mit Kohlen blühte. Er hatte die erste Fuhre Geld damit eingefahren, weil er durch seine politische Arbeit als Kader gute Beziehungen besaß. Dann hatte er Geld gescheffelt, bis weit mehr als eine Milliarde Yuan zusammengekommen waren.
    Ich habe einmal ein Interview mit ihm gelesen. Darin berichtete er unter anderem davon, dass wir als kleine Kinder Kohlen gegessen hätten. Ich weiß noch sehr genau, dass er selbst keine Kohlen gegessen hat. Er hat uns dabei zugesehen, wie wir Kohlen aßen, und die Kohlen in seiner Hand nur intensiv betrachtet.
    Lieber Freund, wie finden Sie das? Ist das peinlich, so auf der Wahrheit herumzureiten? Dagegen ist bei mir wohl kein Kraut gewachsen.
    Ein Mitarbeiter des Wachdienstes schaffte es alleine nicht, mich wegzutragen. Zwei Leute mussten mir unter die Arme greifen, die mich im Grunde nicht unfreundlich unter der großen Reklametafel rechts vom Hauptkliniktor ablegten. Sie richteten mich etwas auf und lehnten mich an die Wand. Ich sah, wie mein Mitschüler Unterlippe in seinen Ferrari stieg und ihn vorsichtig über die Bremsschwelle an der Ausfahrt lenkte.
    Wie nicht anders zu erwarten, saß Xiaobi mit ihrem schulterlangen Haar und dem hübschen Gesicht im Fond des Wagens. Auf ihrem Arm hielt sie einen rosigen Säugling.
    Die Leute, die mich gejagt hatten, waren nun auch zur Stelle und umringten mich. Die beiden Frauen, der Junge, der junge Mann, den ich mit meinem dunklen Blut bespuckt hatte, und auch die Männer, die mich mit der Cola beworfen hatten. Sie standen da und schauten mich an. Vor mir setzte sich aus zig Gesichtern ein zwielichtiges Gemälde zusammen. Der Junge wollte mich erneut mit seinem Tintenfischspieß stechen, wurde aber von der etwas jüngeren Frau zurückgehalten. Einer, der ein bisschen wie ein Professor aussah, streckte seinen langen, schlanken Finger heraus und hielt ihn mir unter die Nase. Ich wusste, dass er prüfte, ob ich noch atmete. Ich hielt die Luft an. Das riet mir mein Selbsterhaltungstrieb.
    Als ich noch ein Kind war, hatte ein Großvater aus unserm Dorf, der aus der Mandschurei zurückgekehrt war, erzählt, dass man sich am besten flach auf den Boden legt, den Atem anhält und sich tot stellt, wenn man im Wald auf einen Tiger oder Bären trifft. Die Raubtiere seien Helden, die sich in der Regel entsprechend verhielten, und ein Held würde niemanden töten, der um Gnade wimmert, und Raubtiere fräßen auch kein Aas.
    Mein Trick zeigte enorme Wirkung. Der Professor hielt verstört inne. Er gab keinen Ton von sich und machte auf dem Absatz kehrt. Seine Reaktion war wohl die, dass er den Schaulustigen, die mich umringten, mitteilte: »Der ist bereits tot.« Auch wenn ich in seinen Augen wahrscheinlich ein Dieb war, der anderer Leute Hab und Gut geraubt hatte, geben die Gesetze unseres Staates auch Bürgern mit besonderem Gerechtigkeitssinn nicht das Recht, auf offener Straße und alle Mann ran einen Strauchdieb zu exekutieren. Deswegen entfernten sich alle hastig und Hals über Kopf, um ja nicht noch mehr Wirbel zu verursachen. Auch die beiden Frauen griffen sich den Jungen und machten sich eilig aus dem Staub.
    Ich atmete tief durch und ließ die Luft bedächtig wieder ausströmen; hatte ich doch gerade die Erfahrung gemacht, welche Ehrfurcht der Tod genießt und wie respekteinflößend ein Leichnam ist.
    Die beiden Männer vom Wachdienst hatten vermutlich die Polizei gerufen, denn sie kamen herbei, um mit den Beamten zu reden, als das Polizeifahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn herangerauscht kam. Drei Polizisten stellten sich vor mir auf und befragten mich. Sie waren blutjung, ihre gelben Zähne verrieten, dass sie aus unserem Nordost-Gaomi stammten. Ich hatte sofort dieses taube Gefühl in der Nase und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Dann heulte ich vor ihnen wie ein kleines Kind, das draußen ungerecht und

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