Frösche: Roman (German Edition)
ausgehalten habe, nicht der Rede wert.
Sugitani san, als ich unter diesem Aspekt darüber nachdachte, lösten sich die Blockaden in meinem Kopf. Ich konnte wieder durchatmen, klar sehen und langsam wieder zu Kräften kommen.
Kaulquappe, steh auf! Auf dich kommt eine große Aufgabe zu. Steh mutig die Schwierigkeiten durch, klage nicht und verurteile und hasse niemanden.
Ich erhob mich also, obwohl mich meine Wunden schmerzten, ich sehr hungrig war, mir die Knie einknickten, Sterne vor meinen Augen tanzten. Aber ich zwang mich, nicht umzufallen. Zuerst fühlte ich mich beobachtet. Aber keiner guckte. Nicht einmal die beiden Männer vom Wachdienst würdigten mich eines Blickes.
Li Hand hatte wirklich recht gehabt. Als ich an Hand dachte, fielen mir auch sofort Augenbraue und das Baby in ihrem Bauch ein. Aber inzwischen hatte sich meine Einstellung dazu geändert. Während ich das Kind am selben Vormittag noch mit beiden Händen erwürgen wollte, dachte ich nun völlig anders darüber. Als ich einen Blick zurück auf die Kliniktafel warf, wusste ich, dass ich das Kind wollte. Ich war begierig danach, ich brauchte es! Der Himmel schenkte es mir, und die furchtbaren Zwänge hatte ich alle nur seinetwegen durchgestanden.
Sugitani san, die Klinikleitung hatte auf ihrer Reklametafel Fotos von einigen Hundert Säuglingen. Es waren lachende und weinende darunter, welche mit geschlossenen Augen, welche, die blinzelten, welche, die ihre runden Knopfäuglein weit aufsperrten, welche, die eins geöffnet, das andere geschlossen hielten, welche, die nach oben schauten, welche, die geradeaus schauten, welche, die ihre beiden Ärmchen vorstreckten, als ob sie etwas anfassen wollten, welche, die kleine Fäustchen machten, als wenn sie ein bisschen wütend wären, welche, die ein Händchen in den Mund gesteckt hatten, welche, die sich mit beiden Händchen an die Ohren fassten, welche, die mit offenen Augen lachten, welche, die mit geschlossenen Augen lachten, welche, die mit offenen Augen weinten, welche, die mit geschlossenen Augen weinten, welche mit viel schwarzem Haar, welche ohne Haare auf dem Kopf, welche mit weichem, blonden Haar, welche mit seidenweichen, flachsfarbenen Haaren, welche mit lauter Falten, die wie ein Großvater aussahen, welche mit großem Kopf und großen Ohren, welche, die kleinen Ferkelchen ähnelten, welche, die so weiß wie frisch gekochte Klebreisbällchen waren, welche, die schwarz wie Kohlen waren, welche, die die Zähne zeigten, als wären sie wütend, welche, die mit weit geöffnetem Mund weinten, welche die den Mund aufsperrten, weil sie nach der Brustwarze suchten, welche, die den Mund zukniffen und den Kopf wegdrehten, als ob sie nichts mehr trinken wollten, welche, die ihre leuchtend rote Zunge herausstreckten, welche, die nur eine rosa Zungenspitze zeigten, welche mit Grübchen auf beiden Wangen, welche mit nur einem Grübchen auf einer Wange, welche mit tiefliegenden großen Augen, welche mit Schlitzaugen, welche mit ballrunden Köpfchen, welche mit langen Gesichtchen, das Köpfchen wie eine Wintermelone geformt, welche mit gekrauster Stirn wie ein großer Denker, welche mit lebendigem Blick wie ein Schauspieler.
Zusammen waren es einige hundert Babybilder, die alle verschieden waren, alle herzallerliebst und lebensecht. Der Text dieser Reklametafel besagte, dass die Fotos von den Babys stammten, die in der Klinik in den zwei Jahren seit ihrem Bestehen zur Welt gekommen waren. Das war wirklich eine großartige Arbeit, eine edle Arbeit, eine süße, allerliebste Arbeit ...
Sugitani san, ich war wirklich zutiefst gerührt, so sehr, dass mir die Tränen kamen. Ich vernahm mit Augen und Ohren den allerheiligsten Lockruf. Ich spürte die Liebe zum Leben sprudeln, die erhabenste, größte Liebe der Menschheit auf dem ganzen Globus. Vergleicht man sie mit anderen Formen der Liebe, sind jene im Vergleich zu dieser armselig.
Ich hatte das Gefühl, als wäre meine Seele getauft worden, dachte, dass ich die Chance bekommen hatte, meine Verbrechen zu sühnen, dass ich, egal welche Ursachen ich gesetzt hatte, egal welche Wirkung folgen würde, meine Arme ausbreiten und diesen kleinen Säugling, den der Himmel mir schenkte, empfangen wollte.
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Sugitani san, ich sagte es schon, die Kliniktafel mit den Babyfotos hatte meine Seele geläutert, als wäre ich getauft worden. Meine Zweifel, die Stiche, die Prügel, die Schmach, auf Leben und Tod gejagt worden zu sein, waren der Weg gewesen, den ich bitter
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