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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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um sie herum und neigte sich dabei zur Seite. Sie versuchte sich hinzulegen, aber Moncrief hielt sie fest.
    Während dieser entgleitenden Augenblicke kam ihr der Gedanke, daß sie etwas übersehen hatte.
     
    Der Schlitten schwand zu einem hellglühenden Punkt, der den niedrigen Rand der Hügel im Osten überflog. Der Kurs führte auf Rondolion zu, kalt und blaß, einst die Sonne dieser Welt, doch nun nicht mehr von tausend anderen Lichtern zu unterscheiden, von denen der Nachthimmel übersät war.
    Sie hatten Rondolion angeflogen. Es war eine alte G-Typ-Sonne, ungewöhnlich darin, daß sie keine Planeten hatte. Es gab Felsbrocken und Kometen, die in exzentrischen Bahnen um sie herumtrieben. Trümmer, hatten die Astronomen voller Genugtuung festgestellt. Es hatte ein Ereignis gegeben. Etwas hatte das System zerstört. Zu ihrer großen Enttäuschung waren sie jedoch nicht in der Lage, einen Kandidaten unter den sichtbaren Sternen zu lokalisieren, der das angerichtet haben konnte. Das bedeutete mit einiger Sicherheit einen in sich zusammengebrochenen Schwarzkörper irgendeiner Art. Nicht zu finden, außer nach langer Suche und mit viel Glück.
    Sie versuchte sich die Angst vorzustellen, die die Einwohner dieser üppigen Welt von Flußtalkulturen gepackt haben mußte, Völker, die noch an eine scheibenförmige Welt glaubten, die nicht einmal zum Trost wußten, was wirklich mit ihnen geschah. Noch nie dagewesene Beben und Stürme zerstörten ihre leuchtenden Städte. Küstengebiete versanken unter Wogen und Fluten. Der Himmel wurde kalt und hart, und die Sonne, falls noch irgend jemand existierte, der sie sehen konnte, sah verzerrt und kränklich aus.
    Sie kannte diese Menschen. Sie hatte ihre Geschichtsbücher und ihre Literatur gelesen. Sie hatten gerauft und gelacht und sich geliebt und am Ufer sonnenüberfluteter Seen über Ethik und Tod diskutiert. Sie hatten Geschichten erfunden, um die Naturwunder ihrer Welt zu erklären. Ihre Götter waren bewundernswert, leidenschaftlich und sanft. Was mußten ihre Anbeter wohl während dieser letzten Tage empfunden haben, als ihre Gebete ungehört blieben und keine Hilfe kam?
    Die Ebene hatte keinen Horizont: ihre glasige Oberfläche berührte die Sterne.
    »Hast du gewußt, daß sie auch eine Art von Weihnachten feierten?«
    Seine Hand drückte auf ihre Stirn. Nicht, daß es eine Rolle spielte: Sie könnte verbrennen, und er würde es durch das Feld hindurch nicht einmal spüren. Aber es war irgendwie schon ein gutes Gefühl. Es gab ihr Sicherheit. »Jede intelligente Spezies scheint Sonnwendfeste zu feiern«, sagte er vorsichtig. »Mir fällt keine Rasse ein, bei der das nicht der Fall wäre.«
    »Ich habe nicht an Astronomie oder Mistelzweige oder Tannenbäume gedacht«, sagte sie. Sie stand unsicher auf.
    Er schien zufrieden und machte keine Anstalten, sie davon abzuhalten.
    Die Steinplatte. Sie ging hinüber, legte ihre Handflächen und ihre Wange darauf. Wer hatte die komplizierten Aufschriften eingemeißelt? Was war mit dem Geschöpf geschehen, das dieses Denkmal so sorgfältig und so liebevoll errichtet hatte?
    Sie strich mit den Fingerspitzen über die Inschrift, drückte sie in die Aushöhlungen, fuhr die Schriftzeichen nach. »Es gibt darin ein Weihnachtsversprechen«, sagte sie. Sie bewegte sich am Rande eines Abgrunds, der viel ausgedehnter war als jener, in dem diese unglückliche Welt schwebte. Sie wollte aufhören, nichts mehr sagen. Aber die Worte drängten aus ihr heraus. »Sie nahmen an, das Leben, die ganze Existenz habe einen Sinn. Hier …« In ihren Augen standen Tränen. »Nichts ist von diesen Menschen übriggeblieben als Schutt.« Ihre Stimme brach.
    Moncrief schwieg länger als gewöhnlich. Dann sagte er mit sorgfältig gewählten Worten: »Es gibt keinen Sinn, Seola. Das weißt du so gut wie ich. Schau mal, dort drüben.« Er dirigierte ihre Lampe in Richtung auf den Ausgrabungsroboter. »Dahinter. Was siehst du da?«
    Sie schaute hin. »Nichts.«
    Er deutete auf die Spuren, die das große Fahrzeug in dem brüchigen Boden hinterlassen hatte. »In weiteren zehntausend Jahren oder so kommt vielleicht jemand anders hierher und fragt sich, wer diese Spuren hinterlassen hat.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Was willst du damit sagen?«
    »Das könnte dann alles sein, was von uns übrig ist.«
    Sie lachte. »Das ist verrückt, Uri.«
    »Okay«, sagte er. »Vielleicht. Aber, verdammt noch mal, es wird das einzige sein, was von dir und mir noch übrig ist!

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