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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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Amerikanischen übersetzt von
    Uwe Luserke

 
    Walther & Antonio Bellomi
     
    Eine unglaubliche Weihnachtsgeschichte
     
    Im uralten Palast des Marquis Silvacroce in Florenz schlug die ehrwürdige Mahagoniuhr zwölf. Plötzlich erwachte der große Saal mit den holzgetäfelten Wänden zum Leben. Die Dunkelheit – einen Moment zuvor noch ungebrochen – erhellte sich zu einem schwachen grünlich-weißen Leuchten, und die Figuren auf den Porträts der Vorfahren dieser Familie bebten in ihren Rahmen. Dann nahmen sie langsam dreidimensionale Gestalt an. Aus den Bildern erhoben sich wolkenähnliche Geister, deren Körper immer konkreter hervortraten. Innerhalb von fünf Minuten hatten sich fünfundzwanzig Ahnen der augenblicklichen Familie um den massiven Eichentisch versammelt. Der erste Sprecher war der alte Patriarch, der die Landsknechtsuniform trug. »So treffen wir uns also wieder!« polterte der alte Löwenkopf mit seinem unmißverständlich teutonischen Akzent. Er war der erste Vorfahr dieser alten Familie und es gefiel ihm, anderen seinen Willen aufzuzwingen. »Wieder Weihnachten … und wieder treffen wir uns.«
    »Wie es uns durch die liebe Zauberin Marlina zugestanden wurde, die wir ernährt und gekleidet haben«, sagte in frommem Ton ein ehrwürdig wirkender Mann in der traditionellen Weste der Adligen im 16. Jahrhundert.
    Dagoberto Silvacroce, das momentan vorletzte Mitglied des Familienclans, zog die Augenbrauen hoch und sagte: »Bitte, laßt uns die Zeit nicht mit nutzlosem Geschwätz verschwenden. Denkt daran, wir haben nur eine Stunde Zeit, um die Familienangelegenheiten zu besprechen. Dann fallen wir in den Zustand lebloser Bilder zurück. Was steht dieses Jahr auf der Tagesordnung?«
    Jetzt sprach Giberto, ein eleganter Stutzer mit Pomade im Haar, der im fernen Jahr 1715 in einem Haus mit sehr schlechtem Ruf getötet worden war. »Wir müssen heute über das schändliche Benehmen eines Mitglieds unserer ehrenwerten Familie sprechen«, sagte der Stutzer mit seiner schrillen Stimme. »Stellt euch vor, meine Brüder, Giberto, der jüngste Sohn des augenblicklichen Marquis Silvacroce, hat sich geweigert, in der Familienbank mitzuarbeiten und verrichtet statt dessen niedrige Arbeiten!«
    Ein kollektives »Oh!« entwich der Versammlung. Die Leute waren sowohl überrascht wie auch aufgebracht. Alle blickten zornig drein.
    »Das ist … es ist … unvorstellbar!« sagte Kardinal Pompilio Silvacroce und dabei wabbelte sein Dreifachkinn wie ein Gelatinehügel von Arroganz. »Einer aus unserer Familie, der arbeitet wie ein Proletarier!«
    »Und er wird in einem Haus arbeiten, das Proletariern gehört, deren Vorfahren zu unseren Füßen lagen, nur um ein Stück angefressenen Brotes zu erhalten«, sagte Giberto hochmütig. »Das ist empörend! Absolut empörend!«
    »Es ist eine Beschmutzung unseres hochangesehenen Namens!« brüllte der streng dreinblickende Richter Aleardo, der sich unter der Regierung von Kaiser Franz I. von Österreich einen Namen gemacht hatte, als er öffentliche Demonstrationen blutig niedergeschlagen hatte.
    »Und worum geht es bei dieser empörenden niederen Arbeit?« fragte Kardinal Silvacroce.
    Die anderen vierundzwanzig Silvacroces sahen sich an und Verlegenheit zeigte sich auf allen Gesichtern. Der erste, der das verlegene Schweigen brach, war Oberst Odelio Silvacroce, der 1944 im Rußlandfeldzug gefallen war. »Also, dieser Giberto Silvacroce ist Klempner.«
    »Und er trägt auch noch meinen Namen, dieser schamlose Schurke!« Der Stutzer war entsetzt. »Aber, ich bitte euch, was ist ein Klempner?«
    »Das ist eine neue Art von Arbeit«, bemühte sich Oberst Silvacroce um eine Erklärung, die Jahrhunderte kultureller Veränderungen überbrücken sollte. »In einfachen Worten:
    Er arbeitet daran, Wasserleitungssysteme in Häusern zu bauen oder zu reparieren. Vielleicht ist das für einige von euch schwer zu verstehen, denn zu der Zeit, als die meisten von euch lebten, gab es kein fließendes Wasser in den Häusern und auch keine Bäder.«
    Der alte löwenmähnige Patriarch blickte entsetzt in die Runde und sein teutonischer Akzent wurde noch ausgeprägter. »Fließendes Wasser in den Häusern? Was für eine teuflische Sitte ist das? Und was ein Bad betrifft – wer braucht denn so was?« Sein rauhes Soldatengelächter schockierte seine etwas feineren Nachkommen. Aber sie sagten kein Wort dazu, denn wie gewöhnlich hatten sie Angst vor seinen Ausbrüchen. Er unterschied sich doch sehr

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