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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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gemeinsam auf dem Sitz zusammen, und Lotta ließ die Zügel auf und ab tanzen. Bevis trabte los, über die Brücke, den Weg hoch, um die Pferdetränke herum und vor die Stalltür. Am Hintereingang war ein Pfad durch den Schnee freigeschaufelt, und über den trug Lorrie ihre leichte Last hinter Lotta und der Frau her, die sie gefunden hatten. Die Fenster waren beleuchtet, und als sie den hinteren Flur betraten, hörten sie Stimmen im Haus. Sie wandten sich zur Küche. Neben dem Herd stand ein Mädchen, das sich bei ihrem Eintritt zu ihnen umdrehte. Als es die von Lotta gestützte Frau sah, weiteten sich ihre Augen. Dann rannte sie ohne eine Frage zu stellen los und öffnete ihnen die Tür zum Hausflur. Sie gingen schnell durch das grüne Schlafzimmer und befanden sich dann in dem Zimmer mit den Regalen und dem Muster auf dem Fußboden. Lotta ließ die Frau auf einen Stuhl sinken. Einen Augenblick lang wirkte sie völlig erschlafft, und Lorrie fürchtete schon, sie sinke endgültig zu Boden. Dann riß sie sich sichtlich zusammen und streckte die Arme aus.
    »Nackie – gebt mir meinen Nackie!« rief sie mit wildem Verlangen und sah Lorrie wütend an. Lorrie beeilte sich, das Baby in ihre Arme zu legen.
    Nur, als die Frau die zerfetzten Lumpen wegzog und den kleinen Körper enthüllte, sah Lorrie, daß sie kein Baby getragen hatte. Es war ein älteres Kind mit großen Augen in einem schmalen, abgehärmten Gesicht. Er hob die Hände und streichelte die Wangen der Frau, die sich über ihn beugte, und er stieß einen Laut aus, einen röchelnden, dünnen Schrei, der weder Worte enthielt, noch nach einem normalen Kind klang.
    »Nackie!« Die Frau schaukelte auf dem Stuhl vor und zurück und hielt ihn fest an sich gedrückt. Lotta ging zur Tür. Dort stand das Mädchen aus der Küche mit einem Tablett, auf dem eine Schüssel und ein Krug standen. Lotta brachte beides der Frau. »Trink! Es ist heiß und nahrhaft und du brauchst es.«
    Die Frau sah sie an, nahm den Krug, nippte daran und hielt ihn dann an die Lippen des Kindes. Es trank gierig. Über das Kind hinweg sah die Frau Lotta wieder an.
    »Wir sind Flüchtlinge von der anderen Seite des Flusses.«
    »Ich weiß. Aber hier seid ihr sicher.«
    Es schien beinahe, als könne die Frau das nicht begreifen. »Nackie – die wollten mich von Nackie wegverkaufen! Sie haben ihn nie gewollt. Er kann nicht sprechen und nicht laufen. Er kann ohne seine Mama nicht leben. Aber er ist doch kein Abfall, den man wegwerfen kann! Er kann mit seinen Händen Sachen herstellen. Schau mal, Fräulein, schau nur mal her! Nackie hat das ganz allein gemacht!«
    Sie nahm dem Jungen den Krug weg und stellte ihn zurück auf das Tablett, das Lotta immer noch hielt. Dann suchte sie in dem formlosen Kleidungsstück herum, das sie trug. Schließlich zog sie daraus einen kleinen gewebten Untersetzer hervor. Die Ränder glitzerten hell im Lichtschein. Federn, sah Lorrie – Pfauenfedern.
    »Nackie hat das für mich gemacht, hat das ganz allein für seine Mama gemacht, die ihn liebt! Er ist schon richtig im Kopf, ganz gewiß! Ich werd’ meinen Nackie nicht verlieren! Ich hörte sie sagen, daß sie Chole verkaufen wollen – das bin ich, Fräulein. Also hab’ ich Nackie gepackt und bin weggerannt – so weit und so schnell ich konnte.«
    »Ihr braucht jetzt nicht mehr wegzurennen«, sagte Lotta. »Jetzt trink erst mal diese Suppe, Chole. Hier seid ihr sicher.«
    »Wirklich, Fräulein? Gibt es einen sicheren Ort für mich und meinen Nackie?«
    »Den gibt es.« Lottas feste Stimme klang überzeugend. »Lorrie, trägst du das in die Küche zurück?« Sie hielt Lorrie das Tablett auffordernd hin.
    Lorrie ging in den Flur zurück. Hier gab es keine Kerzen oder Lampen, und es war sehr dunkel. Sie hatte schon ein wenig Angst in dieser Dunkelheit, denn sie schien sich um sie herum zu bewegen. Dann plötzlich war es hell, und sie saß wieder vor dem Puppenhaus.
    Endlich begriff sie. Ganz vorsichtig legte sie die Puppen zurück ins Haus. »Es gibt einen Ort, an dem ihr sicher seid – für lange, lange Zeit«, flüsterte sie. »Ruht euch aus; bald werdet ihr wieder in Freiheit sein. Fröhliche Weihnachten, Chole und Nackie!«
     
    Originaltitel: »Chole and Nackie«
    Copyright © 1967 by Andre Norton (erstmals erschienen in
    »Octagon Magic«); mit freundlicher Genehmigung der Autorin
    und der Agentur Luserke, Friolzheim
    Copyright © 1991 der deutschen Übersetzung by
    Wilhelm Heyne Verlag, München
    Aus dem

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