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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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dahinter … Sie wußte nicht, warum sie solche Angst empfand, aber sie hörte, wie Lotta leise sagte: »Du fühlst ihre Gedanken, Lorrie, die uns wie Schatten auf dem Schnee erreichen, ihn verdunkeln, verderben. Du fühlst, was sie getan haben und was sie tun würden. Das schwappt wie eine Welle vor ihnen her, wie ein Geruch, den der Wind uns zuträgt.«
    Ein Windhauch berührte ihre Gesichter, und Lorrie empfand ganz schwach einen alten und bösen Geruch.
    Lotta fuhr fort: »Was du da riechst, ist der Keim der Angst, Lorrie. Vergiß nie, daß die Angst aus einem Keim erwächst, und das ist die Grausamkeit. Es gibt Jäger und Gejagte, solche, die wegrennen und andere, die sie verfolgen.«
    Einer der Hunde hatte fast schon ihren Schlitten erreicht. Er hob den Kopf und bellte. Lotta pfiff, nur ein oder zwei hohe und schrille Töne, und der Hund winselte und sprang fort.
    »Zu Ihren Diensten, gnädige Frau.« Lorrie hatte den Hund so aufmerksam beobachtet, daß sie gar nicht sah, wie der vorderste Reiter zu Lottas Seite des Schlittens galoppiert war. Der Mann im Sattel beugte sich ein wenig vor, wohl um sie beide etwas besser sehen zu können.
    Er trug einen breitrandigen Hut, den er mit einem Schal auf dem Kopf festgebunden hatte. Der Schal wand sich um den Hals und schützte auch die Ohren. Der Kragen seines dicken Mantels war hochgeschlagen, und die Hände schützten schwere Handschuhe.
    »Sie wünschen, mein Herr?« Lotta hatte ihn nicht begrüßt.
    »Ich will ein so hübsches Paar Damen nicht beunruhigen, gnädige Frau.« Sein Schnurrbart war an den Enden steif hochgezwirbelt, als habe er Haarspray dazu benützt, dachte Lorrie. Der kleine Spitzbart wackelte beim Sprechen hinter dem karierten Schal auf und ab. »Sind Sie auf der Straße jemandem begegnet?«
    »Und warum wollen Sie das wissen?« konterte Lotta mit einer eigenen Frage.
    »Fräulein Ashmeade?« Ein zweiter Reiter hatte sich zu dem ersten gesellt. Sein Gesicht war rund und von der Kälte gerötet. Unter seiner Pelzmütze lugten ein paar einzelne blonde Haare hervor. Die Mütze selbst war alt und wies schon kahle Stellen auf, wo die Haare ausgefallen waren.
    »Konstabler Wilkins«, erkannte ihn Lotta.
    »Wir jagen Ausreißer, gnädige Frau. Das hier sind Gesetzeshüter von der anderen Seite des Flusses dort unten. Zwei Ausreißer, gnädige Frau, eine Frau und ein Junge. Es ist die ehrliche Pflicht aller gesetzestreuen Bürger, sie auszuliefern, gnädige Frau.«
    Es schien Lorrie, als fühle Mr. Wilkins sich nicht wohl in seiner Haut, und das steigerte sich, als Lotta ihn immer weiter ruhig ansah.
    »Man hat uns mehrmals auf dieses Gesetz aufmerksam gemacht, Konstabler Wilkins. Eine Frau und ein Junge, sagen Sie? Das ist ein grausames Wetter, wenn man gejagt wird.«
    »Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, gnädige Frau«, unterbrach der andere Mann ihr Gespräch, »nur sich selbst. Sie haben sie natürlich nicht gesehen.« Aber Lorrie dachte, daß sich das nicht nach einer Frage anhörte, sondern so, als erwarte er, daß Lotta zustimmte. Er wollte ihr wohl nicht glauben.
    »Wir haben niemanden gesehen. Und nun ist es spät, und der Wind wird immer kälter. Wenn Sie erlauben, meine Herren?« Lotta schüttelte die Zügel, und das Pferd stemmte sich ins Geschirr. Lorrie glaubte, der Mann wolle noch etwas sagen, doch der Schlitten war schon wieder in Fahrt. Als sie Lotta fragend anblickte, sah sie, daß der Ausdruck der Fröhlichkeit vom Gesicht des älteren Mädchens verschwunden war. »Es scheint, daß sogar an diesem Abend das Unglück die Welt behelligt, Lorrie. Und wir sind zum Eingreifen aufgerufen. Also …« Sie schnalzte mit der Zunge, schüttelte erneut die Zügel und der Schimmel trabte schneller voran.
    Lorrie blickte zurück. Sie konnte die Männer noch als dunkle Punkte erkennen und sie hörte das Bellen der Hunde. Die Bäume eines langgestreckten Waldausläufers griffen nach dem Schlitten. Und als der Schlitten in ihren Schatten einfuhr, ließ Lotta das Pferd den Schlitten nur noch im Schritt weiterziehen. »Schau nach einem vom Sturm gespaltenen Baum, Lorrie«, sagte sie. »Das ist unsere Wegmarkierung.«
    Lorrie sah den gesuchten Baum zwischen den anderen zu ihrer Rechten und machte Lotta darauf aufmerksam. Dann bogen sie von der Straße ab auf einen Weg, der von weichem, spurenlosem Schnee bedeckt war. Trotzdem mußte eine Art von Pfad vorhanden sein, denn Lotta fuhr selbstsicher weiter. »Eine Abkürzung, Lorrie. Ich glaube nicht, daß

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