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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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Und das war der leichte Teil gewesen.
    Ihr Herz schien gleichzeitig mit dem Klacken des Bolzens gegen ihre Rippen zu prallen; es machte ihr große Mühe, überhaupt die Hand auf die Klinke zu legen. Mit der gleichen Sorgfalt wie vorher bei dem Schlüssel schob sie die Tür auf. Der kalte Dezemberwind strich durch ihre fliegenden Haare ins Foyer. Celia zog den verbogenen Schlüssel aus dem Schloß. Wo das helle Blau abgeschabt war, trat das matte Weiß des Aluminiums hervor. Sie eilte ins Haus.
    Im Haus war es kalt. Irgend jemand, vielleicht einer der Nachbarn ihres Vaters oder der Anwalt, der seinen Nachlaß verwaltete, mußte die Heizung ganz heruntergeschaltet haben. Das hoffte sie jedenfalls. Sollte die Heizung ganz ausgeschaltet sein, hatte sie keine Ahnung, wie man sie wieder zum Laufen brachte. Der Thermostat befand sich nur ein paar Schritte weiter am Fuß der Treppe. Sie brauchte einen Augenblick (»Faß diesen Thermostat ja nicht an!«), um ihn von 15 auf 21 Grad zu drehen. Dann hörte sie ein dumpfes Wuff und anschließend das vertraute Rauschen des Heizofens. Sie rieb ihre kalten Hände aneinander und sagte sich: Da ist doch nichts dabei. Einfach hinein und wieder hinaus – die Arbeit eines einzigen Abends. Geh durch das Haus, hol alles, was dir wichtig erscheint, und fahr heim nach Chicago. Morgen war Heiligabend. Den würden sie zu Hause verbringen.
    Ein neuer Windstoß ließ sie herumfahren. »Wohin soll ich die stellen?« David hielt vier Flaschenkartons in den beiden behandschuhten Fäusten. »Ich weiß nicht; laß sie einfach fallen. Mach doch, um Himmels willen, die Tür zu!«
    Kartons polterten auf den Holzboden, als er die Tür gegen den Wind fest zudrückte.
    »Wo fangen wir an?« Wir. Als ob er wüßte, was an diesem Ort für sie wichtig sei. Falls irgend etwas wichtig war.
    »Ich gehe nach oben«, sagte sie plötzlich. Sie nahm immer zwei Stufen auf einmal, genau wie während ihrer Teenagerzeit, wo Geschwindigkeit beinahe so gut war wie Unsichtbarkeit. Sie ließ David am Fuß der Treppe zurück.
    »Nimm einen davon mit«, rief er. Er warf einen Karton zu ihr hinauf. Der Wurf war etwas zu kurz, aber der Karton plumpste ihr vor die Füße. »Danke«, sagte sie, kürzer angebunden, als sie eigentlich wollte, und hob ihn auf. Chablis aus Kalifornien. (Aber es roch nach Gin.)
    Wenn man den Flur hinunterging, kam man zuerst zum Zimmer der Zwillinge. Es standen immer noch die beiden Zwillingsbetten drin. Als Kind hatte sie sich gewundert, daß man solche Betten extra für Zwillinge anfertigte. Amy und Ann waren vier Jahre jünger als Celia. Sie waren nun erwachsen. Amy lebte mit ihrem Mann und einem Baby (seltsames Gefühl, sich ihre kleine Schwester mit einem Baby vorzustellen) in Connecticut, und Ann wohnte in Kalifornien und verkaufte Surfbretter. Wenn sie aber an die beiden dachte, stellte sie sich die kleinen Kinder vor, die immer über ihre dummen Grimassen lachten – intelligente, hübsche Kinder, aus denen mehr und mehr verängstigte kleine Mädchen wurden.
    Sie wußte nicht, wie es die Zwillinge anstellen wollten, ihre übrigen Sachen aus dem Haus zu holen. Sie ging zum Frisiertisch und nahm eine kleine Porzellanfigur in die Hand. Es war Anns Schimmel mit der Goldglasur in der blauen Mähne; Amys Pferd mit der rosa Mähne fehlte. Sie drehte das Pferd um und sah den krummen, ungeschickt geklebten Riß zwischen Vorderbeinen und Rumpf. Da war er. Erstaunlich, woran man sich nach zwanzig Jahren noch erinnern konnte.
    Sie wußte, woran sich Ann beim Gedanken an das Pferd erinnern würde, denn ihre Schwester hatte ihr jahrelang dankbar davon erzählt: Das Pferd war ein Geschenk ihrer Großmutter, und sie würde auf irgendeine geheimnisvolle und schreckliche Art dafür bestraft werden, wenn ihre Mutter es in zwei Teile zerbrochen fand. Als Ann es tatsächlich zerbrach und panische Angst hatte und nicht ein noch aus wußte, hatte Celia die Situation gerettet, indem sie es schnell wieder klebte und so ganz selbstverständlich das jüngere Mädchen in Schutz nahm. Wie immer.
    Celias nun reiferes Gedächtnis sah alles ein wenig genauer und bitterer: das zerbrochene Pferd, das Gefühl der Lähmung, eines Rings um die Brust, Angst, die sich schnell in Wut verwandelte. Sie hatte die Figur gepackt und die verängstigte Fünfjährige angeschrien, und als Ann zu weinen angefangen hatte, hatte sie noch lauter geschrien und dem Mädchen hart auf den Arm geschlagen. Ann begann in einem Anfall von Schluckauf

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