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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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ihre Tränen zurückzuhalten, wie sie es bei ihrer Mutter immer tat, und Celias Wut verrauchte augenblicklich. Zurück blieben nur Schuldgefühle. Sie war die Hintertreppe hinuntergerannt, hatte Klebstoff gefunden, das Pferd mit zitternden Händen geklebt, war auf gleichem Weg zurückgekehrt und hatte ihre kleine Schwester auf den Schoß genommen, sie geschaukelt und beruhigend auf sie eingeflüstert. Geheimnis – es war ein Geheimnis, und es war bei ihr sicher. Ann lächelte ihr unendlich dankbar zu und das verstärkte ihr Schuldgefühl noch. Sie wurde ihrer Mutter immer ähnlicher. Selbst mit ihren acht Jahren war ihr das schon klar. Es machte ihr Angst.
    »He, da gibt es eine Hintertreppe!« erklang Davids Stimme hohl und fern. Sie hörte das Echo seiner Schritte von hinter der Tür zum Treppenhaus. »Ganz schön clever«, sagte er, als er auftauchte. »Ich dachte, es sei ein Abstellraum, bis ich dann die Tür öffnete. Ich wette, als Kinder habt ihr die ständig benützt. Da kann man ja endlose Versteckspiele veranstalten.«
    »Ja«, sagte sie. »Sie ist ziemlich eng. Ich glaube nicht, daß meine Eltern sie viel benützt haben.« Doch sie und die Zwillinge hatten dort ihre Ausflüge wunderbar vertuschen können. Mehrmals hatte sie sich nachts die Treppen hinuntergeschlichen, um einen verbotenen Film zu sehen, hatte ganz langsam einen Fuß vor den anderen gesetzt, war durch den Kellereingang geschlüpft, hatte ein Fenster aufgeschoben und war den ganzen Weg ins Stadtzentrum zum Kino gerannt. Sie wurde nie erwischt, obwohl sie immer damit rechnete. »Könnte sein«, sagte David. »Es ist so ziemlich der einzige Ort, den ich hier gesehen habe, der nicht voll mit Ramsch liegt.« Er blickte sich interessiert um. »Außer diesem Zimmer.« Er wies mit einem Kopfnicken die Richtung. »Wie ein Krankenzimmer eingerichtet. Deine Mutter?«
    Celia sah unwillig hin, nahm das Krankenbett wahr und das verchromte Geländer, das so optimistisch den ganzen Raum umrahmte. »Ich denke, ja.« Der Unfall war passiert, nachdem sie nach England gegangen war, um zu promovieren, doch bevor sie dort David getroffen hatte – zwei Amerikaner, die durch gemeinsame Freunde zusammengebracht worden waren. Als sie zwei Jahre später in die Staaten zurückkehrte, hatte ihr Vater – selbst krank – aufgegeben und ihre Mutter in ein Pflegeheim gesteckt. Celia hatte im Laufe der letzten drei Jahre ihre Mutter dreimal besucht. Geburtstagsbesuche. Sie waren aus zwei Gründen für sie sehr, sehr schlimm gewesen. Ihre Mutter erkannte sie überhaupt nicht mehr, und dann konnte sich Celia nicht helfen; sie dachte jedesmal: Du bist ja selbst schuld mit deiner ewigen Trinkerei. Kein Wunder, daß du gegen diesen Baum gekracht bist. Und wieder hatte sie diese überwältigenden Schuldgefühle.
    »Ich glaube nicht, daß ich hiervon irgend etwas mitnehmen will«, sagte sie zu David. »Ich muß zu Hause immer noch Geschenke einpacken. Gehen wir.«
    »Nachdem wir eine Stunde gefahren sind, um hierher zu kommen? Wenn es dir recht ist, möchte ich mich noch ein wenig umsehen.« Er ging in das Schlafzimmer ihrer Eltern, ohne auf eine Antwort zu warten.
    Sie folgte ihm zögernd. Es war ihr früher nicht erlaubt gewesen, dieses Zimmer zu betreten. Natürlich war es gerade dadurch für ein Kind besonders interessant geworden. Sie setzte sich auf das Bett und merkte, wie ihre Hand sich automatisch unter die Matratze auf der Seite ihrer Mutter stahl. Wie alt war sie gewesen, als sie zwischen Matratze und Sprungrahmen die Taschenflasche mit Gin gefunden hatte? Vielleicht sechs. Alt genug, um zu wissen, daß hier etwas absolut nicht stimmte und daß sie niemandem davon erzählten konnte. Alt genug, um Angst zu haben, daß ihre Mutter etwas über ihren Fund herausfand. Sie hatte sich tagelang Gedanken gemacht, ob vielleicht ein klitzekleiner Fingerabdruck auf dem Glas sichtbar sein könnte, wenn ihre Mutter sie herauszog.
    »Du mußt noch einpacken?« fragte David aus dem Abstellraum. »Dann habe ich Geschenkpapier für dich gefunden.« Er kam heraus und hatte die Arme voll mit Weihnachtspapierrollen. Celia nahm eine. Ein Weihnachtsmann neben dem anderen lächelte sie rot und rund an. Das Papier war so alt, daß es steif und brüchig wirkte. Er legte alles neben ihr aufs Bett. »Willst du’s?«
    »Nein«, sagte sie. »Das Zeug ist zu alt. Sieht auch billig aus.« David war schon wieder im Abstellraum und suchte geräuschvoll darin herum. »Lieber Himmel, kannst du nicht

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