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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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Vielleicht deshalb, weil er sich wenigstens ein bißchen um seine Familie kümmerte.
    Jedes Geschenkpaket, das er in die Hand nehmen und prüfen würde, erwiese sich als leer. Dabei waren alle aufwendig eingewickelt, ein paar von seiner Schwester, einige hatte man in den Geschäften verpackt, in denen sie – in ihrer üblichen Hetze – einzukaufen pflegte. Aber keines der Päckchen war geöffnet worden.
    Was, zum Teufel, ist hier los? fragte er sich.
    Auf dem Boden kniend, die Nerven zum Zerreißen gespannt, blickte Dave nach oben. Er verrenkte sich fast den Hals, um die Spitze des mit Glitzerzeug geschmückten Baums sehen zu können.
    Die Christbaumspitze, der Stern, der schon seit Generationen in der Familie weitervererbt wurde, war zerbrochen, scharfkantige Zacken reckten sich in die Luft. Der blutrote Schimmer stammte sicher von den rötlichen Glühbirnen, die weiter unten brannten. Die Augen zu schmalen Schlitzen verkniffen, senkte Dave langsam den Blick. Er hörte, wie sein Herz klopfte. Ihn beschlich das unbestimmte Gefühl, daß an dieser heimeligen Weihnachtsszene etwas verkehrt sein müsse.
    Er sprang auf und hastete in die Küche zurück. Zuerst wollte er die Magnetfiguren von der Kühlschranktür reißen, dann ging er jedoch in die Hocke und nahm die Perspektive eines Kindes ein. Atemlos starrte er auf die bartlose, rotwangige, halbnackte männliche Gestalt und auf das grimassenschneidende, ängstlich dreinblickende Gesicht der Frau. Er war unfähig zu begreifen, wen oder was die Figuren darstellen sollten – dazu mangelte es ihm an kollektiver Phantasie‹ – doch ihm dämmerte, wie verlogen die sogenannten ›Schlüsselkinder‹ das Märchen vom Weihnachtsmann finden mußten. Kinder, die kamen und gingen, wie es ihnen paßte, die taten, was sie wollten und mit wem sie es wollten. Entfremdete Kinder, die ein Leben im Ungewissen führten. Kinder, die ihre gleichgültigen Eltern gegen eine Clique von älteren Jugendlichen eintauschten, die ihnen ein Gefühl von Zugehörigkeit und Harmonie vermittelte, mußten sich einfach verändern, auch wenn ihnen äußerlich nichts anzumerken war.
    Wallys Stereoanlage schaltete sich ein und begann Weihnachtslieder zu spielen. Dave hörte, wie die Wohnungstür aufging, doch er rührte sich nicht vom Fleck. Ihm war kalt; aber er blieb vor dem Kühlschrank hocken, eine Hand gegen die Tür gestützt, und versuchte vergeblich, sich daran zu erinnern, wie seine einzige Nichte ausgeschaut hatte, als er sie das letztemal sah …
    Er dachte an den Weihnachtsbaum, den die heuchlerischen Erwachsenen im Grunde nur für sich selbst gekauft hatten, und unter dessen ausladenden, glitzernden Zweigen Attrappen von Geschenken lagen. Geschenke zu verschmähen war vielleicht der finsterste Racheakt, den sich Kinder in einem bestimmten Alter vorstellen konnten.
    Er vergegenwärtige sich, daß kein einziges Paket für seine Schwester, für Wally oder für Onkel Dave dabeigewesen war, und ihm kam der Gedanke, daß ältere Kinder zu weitaus schlimmeren Taten fähig sein mochten, als Geschenke einfach zu ›vergessen‹.
    Der blanke Zettel an der Kühlschranktür enthielt doch eine Nachricht – sie war nur nicht aufgeschrieben. Sie handelte von Leere, Inhaltlosigkeit: von leeren Geschenkpaketen, von jungen, beeinflußbaren Persönlichkeiten, die nach Inhalten verlangten, und sie irgendwo auch bekamen. Die Botschaft handelte von Eltern – von ganzen Familien – die gar keine waren, nur hohle Attrappen.
    Außerdem konnten viele Kinder heutzutage gar nicht mehr lesen oder schreiben, und sie haßten es, schriftliche Mitteilungen zu hinterlassen … vor allen Dingen, wenn das, was sie ausdrücken wollten, so offensichtlich war.
    Gedämpfte Geräusche, die näherkamen. Ich habe keine Angst, es sind ja nur Kinder, sagte er sich. Um nichts in der Welt konnte sich Dave die Gesichter der älteren Jugendlichen ins Gedächtnis zurückrufen, die er damals zusammen mit dem kleinen Ollie gesehen hatte. Es wäre ohnehin sinnlos gewesen.
    Er drehte sich auch dann noch nicht um, als er merkte, daß die Geräusche an der Küchentür nicht von drei kleinen Kindern allein verursacht sein konnten. Er kam sich schmutzig und überflüssig vor, wie ein schaler Rest von irgendeinem Getränk, den man über Nacht in einem Glas hatte stehenlassen.
    Während er sich auf das Weihnachtslied konzentrierte, das Wally vor Jahren einmal auf Band aufgenommen hatte, empfand er plötzlich ein nie zuvor erlebtes Glück von

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