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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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Wen interessiert es schon, ob du den alten Jack singen hörst oder nicht, du alte Eule!
    Doch statt dessen erwiderte ich stumm ihren Blick, und mein vom Alkohol umnebelter Geist nahm ihre Züge wahr, um sie sich dann – nicht frei von Vorurteilen – einzuprägen. Ihr straff frisiertes glattes Haar sah aus wie gekämmter Draht; ihre ruhigen Augen erinnerten mich an jemand auf einem alten Porträt, der jedoch schon lange tot war; ihre Wangen waren gerötet, als habe sie einen Ausschlag; und die vorstehenden Zähne ließen an ein Pferd denken, das wie in einem Traum plötzlich aus dem Nichts hervorprescht.
    An dieses Gesicht würde ich mich immer erinnern, und ich hatte mir geschworen, daß dies meine letzte Weihnachtsfeier in Tante Elises Haus sei. Ich konnte es mir also leisten, auf ihre Sticheleien souverän zu reagieren. Außerdem wurde jede weitere Konfrontation im Keim erstickt, als eines der Kinder zu betteln anfing, Tante Elise möge eine ihrer Geschichten erzählen.
    »Aber dieses Mal eine wahre Geschichte, Tantchen. Eine, die wirklich passiert ist.«
    »Na schön«, sagte sie und fügte hinzu: »Vielleicht möchte der alte Jack hierherkommen und sich zu uns setzen?«
    »Dafür bin ich zu alt, danke sehr. Außerdem höre ich von meinem Platz aus …«
    »Dann eben nicht«, schnitt sie mir das Wort ab. »Laßt mich einen Augenblick lang nachdenken. Es gibt ja so viele Geschichten, so viele. Jetzt fällt mir eine ein. Sie passierte, ehe einer von euch geboren war, in einem Winter ein paar Jahre nachdem euer Onkel und ich hierherzogen. Ich weiß nicht, ob es einem von euch aufgefallen ist, aber ein Stück die Straße hinunter gibt es einen freien Platz, wo eigentlich ein Haus hingehört, und wo früher auch mal eines stand. Von diesem Fenster aus könnt ihr die Stelle sehen«, sagte sie, indem sie auf das Fenster deutete, vor dem ich saß. Mein Blick folgte ihrem Finger, und durch den Nebel erspähte ich das leere Grundstück, das sie meinte.
    »Dort stand einmal ein Haus, ein wunderschönes altes Haus, das größer und weiträumiger war als meines hier. In diesem Haus wohnte ein sehr alter Mann, der niemals ausging, und der meines Wissens nie einen Gast zu sich einlud. Und nachdem dieser alte Mann gestorben war, was, glaubt ihr, geschah mit dem Haus?«
    »Es verschwand«, mutmaßte eines der Kinder vorlaut.
    »In gewisser Hinsicht verschwand es wirklich. Tatsächlich kamen ein paar Männer und rissen das Haus ab, Schindel für Schindel, Stein für Stein. Ich glaube, der alte Mann, der dort wohnte, muß sehr böse gewesen sein, weil er verfügte, daß das Haus nach seinem Tod abgebrochen werden sollte.«
    »Woher weißt du, daß es sein letzter Wille war?« warf ich ein in dem Versuch, sie zu irritieren.
    »Weil es die einzige plausible Erklärung dafür ist«, entgegnete Tante Elise.
    Ich verwünschte den Alkohol, der meinen Geist umnebelte und es mir unmöglich machte, ihr zu widersprechen. »Ich jedenfalls glaube«, fuhr sie fort, »daß der alte Mann ganz einfach die Vorstellung nicht ertrug, jemand anders könnte in dem Haus leben und dort glücklich sein, denn er war es sicherlich nicht. Aber vielleicht gab es noch einen anderen Grund«, sagte sie, indem sie die Worte mit ihrer rauhen Stimme quälte und in die Länge zog. Die Kinder, die vor ihr auf dem Teppich hockten, lauschten mit neu erwachtem Interesse, während die brennenden Holzscheite im nahen Kamin noch lauter zu knistern und zu prasseln schienen.
    »Vielleicht glaubte der alte Mann, daß er sein Haus mit hinüber in die andere Welt nehmen könne, wenn er es abreißen ließe. Menschen, die eine lange Zeit allein gelebt haben, denken und handeln manchmal sehr son derbar«, betonte sie; doch ich bin sicher, daß außer mir kein anderer diese Feststellung auf Tante Elise selbst bezog.
    »Mit Recht fragt ihr euch jetzt, wieso ich dazu kom me, so über den alten Mann zu denken. Geschah viel leicht etwas Merkwürdiges mit ihm und seinem Haus, bevor beide von der Bildfläche verschwanden? Ja, sage ich euch, eines Nachts passierte etwas höchst Sonderbares.
    In einer Winternacht – es war so neblig wie heute – kam jemand diese Straße hier entlang und blieb vor dem Haus des alten Mannes stehen. Dieser jemand war ein junger Mann, der schon seit Jahren immer wieder in unsere Gegend kam. Ich selbst sprach ihn einmal an und fragte ihn rundheraus, was er an uns und unseren Häusern so bemerkenswert fände, denn ganz offensichtlich interessierte er sich in

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