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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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gefunden, von dem der Kiosk gesprochen hat?«
    »Hier auf der Rückseite, Kapitän«, rief Mars. »Hier sind Millionen Weihnachtsbräuche eingeschnitzt. Es ist, als würde man in einem intergalaktischen Versandkatalog blättern, aber alles dreht sich nur um Weihnachten. Da stehen wir ganz schön dumm da mit unserer kümmerlichen Besatzungserinnerung.«
    »Semantische Verwirrung«, stöhnte Alfie. »Wie ein Versuch, dem ganzen All die gleiche Art Brille zu verkaufen.«
    »Ja«, sagte der Kapitän, »aber es muß ein Basis-Weihnachten geben, einen Nenner für die gemeinsamen Daten, wie das mit dem Geben und Nehmen. Die Frage ist, ob man nicht auch geben kann, indem man nimmt; oder ob man nicht in dem Augenblick entgegennehmen kann, in dem man gibt.«
    »Wir aktivieren den ganzen Mist, Kapitän!« rief Mars.
    »Ist es nicht besser, sich ein Weihnachten nach dem anderen vorzunehmen?« rasselte Venus besorgt.
    »Das machen die Leute schon seit Millionen von Jahren. Genau das ist doch der schwache Punkt. Wir müssen ein Weihnachten finden, das im ganzen Kosmos eingesetzt werden kann. Wir können den Asteroiden nicht ins Schlepptau nehmen. Deshalb müssen wir hier und jetzt handeln.«
    »Aber …« Venus kam nicht dazu, ihren Satz zu Ende zu bringen, da der Kapitän ihr ins Wort fiel. »Aber was denn? Was gibt’s denn jetzt schon wieder?«
    »Ich dachte nur, daß diese Anlage hier, ob sie nun antiquiert ist oder nicht, eventuell in Zukunft noch einen Wert als Archivzentrale hat, als Sammelplatz für die vergangene Zeit, bevor wir lernten, daß wir kein Recht auf Individualität haben, bevor wir in den großen Plan eingingen. Ich meine ja nur, Kapitän, obwohl ich bereit bin, ein Kollektivweihnachten zu akzeptieren, um mich einer größeren Ganzheit anzupassen, so könnte ich doch irgendwann mal, wenn ich alt bin und Weltraumrente beziehe, ganz allein hierher reisen wollen und einen alten venusianischen Weihnachtsabend drücken, – mit Lehm und Sumpfratten und Schuppen, die sich in Spielgruben mit weichstem Ton kringeln … Wir sollten darauf achten, die Weihnachtsbräuche nicht zu zerstören, Kapitän. Tja, entschuldigen Sie vielmals.«
    »Entschuldigung mit Vorbehalt angenommen. Das hier ist nicht der richtige Augenblick für Schlangennostalgie, Kamerad Venus«, sagte der Kapitän streng, und die Strenge richtete sich nicht zuletzt gegen sich selbst, denn ihm war klar, daß sie vor einer Entscheidung standen, vor der er sich genauso gerne gedrückt hätte wie die anderen.
    »Mars, aktiviere den ganzen Kiosk, dann werden wir sehen, was geschieht!« ordnete er knapp an.
    Sie rückten vorsichtig näher heran, während Mars mit doppelter Drehung, gelenkig wie er durch die Schlägereien nun mal war, das universelle Weihnachten aktivierte, das Weihnachten aller Weihnachten. Die ganze Anlage war wie durchgedreht, der Kiosk eröffnete unzählige Bilderwelten, die wie das Nordlicht in allen Himmelsrichtungen leuchteten. Das Universum träumte einen komprimierten Traum über ein schenkendes Weihnachten, ein Fest des Gebenden. Um die kleine Gruppe herum wurde es strahlend hell, und sie hörten die Stimme mit der Weihnachtserzählung, die ihr unendliches Repertoire vor ihnen ausbreitete …. und ihre Augen funkelten, denn hier flossen die großen Kanäle auf dem Mars wie in früheren Zeiten, als es von Sperma und Blut und Wein in den Kanalvierteln schäumte. Dort kringelte sich die venusianische Riesenschlange, den Beutel mit Sumpfratten gefüllt, hier rasselten die Rechenmaschinen, und alfacentaurische Gleichungen schossen wie Sternblitze aus dem Innern des Kiosk. Hier konnte der Kapitän zum letzten Mal die Freuden des Schnabelstoßens erleben, während Jupiters unglaubliche Größe wie eine leuchtende Seifenblase aus Ammoniakgasen vor seinem blinkenden Augendiamant erschien.
    Im Anschluß an die von ihnen bestellten Weihnachten folgte eine Unzahl anderer Weihnachten, tote wie lebendige, aus wer-weiß-für-welchen Imperien und Welten. Manchmal waren es große, mit von Elefanten getragenen Säcken, manchmal waren es Miniaturweihnachten, die kaum sichtbar, aber unglaublich kompliziert waren, mit Riten und Mythen, eingewoben wie elektronische Komponenten im Spinnennetz der Vergessenheit. Und über der dahinsterbenden Stimme des Berichterstatters stieg ein dumpfes Grollen empor: Das war Weihnachten, das seine letzten Kräfte entleerte und in sich zusammensank, die Tragfläche wurde eingezogen, alle Bilder und Zustände wurden

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