Frohes Fest!
Rand des Steilhangs und blickte hinaus auf das Dünenmeer, das in der untergehenden Sonne in einem tiefen Scharlachrot glühte.
Als die Dunkelheit sich über den Sand legte, betrachtete Nie den Verlauf des Weges. Er wand sich den Berg hoch und führte dann in ein Tal, wo man einst gehofft hatte, ein Eisenbergwerk eröffnen zu können. Aber hinter ihm führte ein selten benutzter Pfad hoch in eine blind endende enge Schlucht; nur wenige gingen manchmal dorthin. Nie wußte, daß es langsam spät wurde, daß er sich auf den Rückweg machen sollte, aber er beschloß, in diese Schlucht zu steigen, bevor er den Berg wieder verließ; es war ja nicht weit.
Als er die Schlucht erreichte, war die Sonne untergegangen. Die Sterne erstrahlten hell. Einer von Arions Monden war im Südwesten aufgegangen. Zu seiner Linken erkannte Nie die Überreste eines alten Kolonistenraumschiffs, wie es vor Jahren noch benützt worden war. Aber gerade vor ihm, in den Felsen am Ende der Schlucht eingesetzt, erhob sich eine blendend weiße Granitsäule. Nie ging hin, kniete nieder und wischte den Sand vom Sockel. Da stand:
Zum Andenken an die sechzig Siedler, die hier starben.
Sie hatten gehofft, ihre Familien wiederzusehen und gemeinsam ein neues Leben aufzubauen.
»Ein neues Leben – und das hier!« dachte Nie. »Sie konnten einfach nicht erkannt haben, was sie hinter sich zurückließen.« Er legte sich auf den Boden der Schlucht und blickte auf den sternübersäten Streifen Himmel. Ein bestimmtes Sternbild war gerade so eben über dem Nordrand der Schlucht aufgegangen. Einer dieser Sterne schien hell, gleichmäßig und tiefgelb; er kannte ihn. Er beobachtete, wie sich der Stern langsam am Himmel nach oben schob und stellte sich vor, wie er sich unter ihm zu Weihnachten in seiner Heimatstadt befand. Am Tag, dachte er sich, wäre er mit seinen Freunden zum Skifahren gegangen. Er konnte beinahe die Pinien und seine nasse Wollmütze riechen.
Aber jetzt am Abend, dachte er, wäre er bei seiner Familie, bei …
Er setzte sich auf.
Er wäre nicht bei seiner Familie gewesen. Seine Familie wäre auf Arion. Er hätte noch nicht einmal von ihnen hören können, wäre er auf der Erde geblieben. Er warf einen Stein nach der Felswand hinter der Säule. Damit löste er einen dünnen Sandschleier aus, der sich über ihn ergoß. Der Sand fiel sanft auf seine Maske.
Er dachte zurück an die Gelegenheiten, bei denen er sich einsam gefühlt oder Heimweh gehabt hatte: Ferienlager, Schulausflüge. Seine Freunde waren wohl bei ihm gewesen, aber sie konnten niemals seine Familie ersetzen. Sie war es, die zählte. Bei ihr zu sein, das war wichtig. Sie zu verlassen wäre schwerer als die Erde zu verlassen. Er blickte zu der Granitsäule zurück. Vielleicht war diesen Siedlern doch klar gewesen, was sie aufgaben, aber auch für sie mochten die Menschen wichtiger gewesen sein, die auf Arion auf sie warteten.
Er zog seinen Sandanzug enger um seinen Körper zusammen, um sich gegen die Kälte zu schützen. Plötzlich erschrak er, als er an die Temperatur dachte. Die Monde waren aufgegangen, und er war immer noch draußen.
Er ging schnell durch die Schlucht und den Pfad hinunter zu der Felsplatte über den Sandebenen. Er blieb – frierend und außer Atem – an der Felswand ein Stück vom Abhang entfernt stehen. Er erinnerte sich an die drei Plätzchen in seiner Tasche und aß eines davon mit klappernden Zähnen. Beide Monde standen am Himmel. Der Pfad war im Mondlicht klar zu sehen. Er begann zu rennen und rannte mit aller Kraft bis er, nach Luft ringend, stolperte und hinfiel. Nach einigen Minuten bemerkte er, daß er sich in der Kälte bereits zu wohl fühlte. Er zwang sich, aufzustehen. Er blickte zurück den Pfad hoch, begriff zunächst nicht und war dann verblüfft: Er war beinahe hundert Meter weit gerannt!
Er war auf Arion gerannt!
Er stand noch etwas schwindlig da und starrte nach oben. »Einhundert Meter«, flüsterte er.
Es ging also doch.
Er lehnte sich zurück und versuchte, zu Atem zu kommen. Er aß ein weiteres Plätzchen. Energie war wichtig, richtige Ernährung, richtiges Training. Seine Eltern würden überrascht sein. Sie dachten, er habe das Laufen aufgegeben. Aber er war gerannt, ohne sich etwas dabei zu denken. Er konnte es schaffen. Er würde nun trainieren, um wieder Sport treiben zu können. Unten im Tal könnte er beginnen. Dann würde er versuchen, bergauf zu rennen. Er mußte aufpassen, die rechte Atemtechnik herausfinden.
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