Frohes Fest!
nichts Interessantes, was er noch nicht gelesen hatte.
»Hast du alle Schularbeiten jetzt fertig?« fragte ihn seine Mutter leise aus der Küche.
»Das letzte Paket habe ich vor einer Woche abgeschickt. Ich habe noch nichts weiter gehört – ich nehme an, .die Korrekturen kommen erst nach den Ferien.«
»Zu schade, daß das Radio nicht funktioniert, aber die Meteorologen haben nicht erwartet, daß der Sturm so schnell kommt.«
Nie sagte nichts.
»Wenn du etwas tun willst, dann könntest du mir helfen, die Muster auszuschneiden, die ich gezeichnet habe.«
»In Ordnung.« Er holte ihre Sachen und setzte sich an den Küchentisch. Seine Mutter hatte auf dem farbigen Papier zwei Grundmuster gezeichnet: Weihnachtsbäume auf dem grünen Papier und die Sterne von Bethlehem auf dem roten. Er nahm die Schere und begann mit dem Ausschneiden. »Ich fühle mich wie ein Sechsjähriger«, murmelte er vor sich hin.
»Wie war das?«
»Nichts.«
Drei Weihnachtsbäume und vier Weihnachtssterne später legte er alles weg, klebte die ausgeschnittenen Sachen an die Ostwand und ging in sein Zimmer. Er setzte sich und blickte durch das Fenster auf die Hügel und Berge hinter dem Haus; der Blick war durch den im Sturm wirbelnden roten Sand getrübt.
Er legte sich auf sein Bett und betrachtete das Bild mit den Pokalen, die er als Leichtathlet gewonnen hatte (die Pokale waren zu schwer und zu teuer, um sie hierher mitzunehmen). Aber das Bild weckte schöne Erinnerungen. In seinem zweiten Jahr am College, kurz bevor sie die Erde verlassen hatten, hatte er sowohl den 1500- wie auch den 2000-Meter-Lauf gewonnen. Jetzt konnte er kaum mehr als fünfzig Meter rennen, ohne bewußtlos umzufallen. Er schloß die Augen und lauschte dem stetigen Rhythmus des Sandes, der gegen das Haus prasselte, und dem Heulen des Windes.
Einige Zeit später erwachte er und hörte Weihnachtsmusik – das Radio funktionierte also wieder. Der Sturm war vorüber. Vor dem Fenster erhoben sich statt des roten vom Wind gepeitschten Sandschleiers nun klar und zerklüftet die Berge.
Er eilte in den Wohnbereich. Seine Mutter saß am Lesegerät. »Also bist du endlich aufgewacht«, sagte sie lächelnd. »Dein Vater ist heimgekommen, während du schliefst. Er hat dann Ben und Maggie mit nach Apollo genommen, um Sachen einzukaufen, die wir morgen in der Siedlung brauchen. Sie werden erst nach Einbruch der Dunkelheit zurückkommen.«
Nie sagte nichts.
»Ich suche nach der Weihnachtsgeschichte. Ist das nicht Lukas? Das brauchen wir heute abend.«
»Es ist Lukas.«
»Ich habe ein paar Plätzchen auf die Theke gelegt.«
Nie nahm sich eines und biß hinein. »Die sind klasse, Mammi. Kann ich welche mitnehmen, wenn ich in die Berge gehe?«
»Wo gehst du hin – jetzt?«
»Es bleibt noch mehr als eine Stunde hell. Ich bleibe auf dem Weg und komme zurück, bevor es zu dunkel und kalt wird.« Er nahm noch drei Plätzchen und ging zur Tür.
»Wie lange bleibst du?«
»Ein paar Stunden – ich gehe nur zum Abhang über den Sandebenen.«
»Na ja, ich denke, das geht klar. Wenn du zurückkommst, ist das Essen wohl fertig.«
Die Tür schloß sich.
Nachdem er die Druckausgleichssequenz in Gang gesetzt hatte, zog Nie wieder den Sandanzug und die Stiefel an und wartete, während die Luft langsam zum Haus hin abgesaugt wurde. Seine Atemzüge wurden schneller und flacher. Er fühlte die nur zu bekannte unbefriedigende Atemlosigkeit. Schließlich öffnete sich die Tür. Er setzte die Schutzbrille auf, die Staubmaske, zog die Handschuhe an und trat ins Freie.
Der Wind hatte sich gelegt. Nichts rührte sich. Die Sonne, die bereits die Bergspitzen im Osten berührte, warf tiefe Schatten ins Tal. Nie rannte zur Hügelspitze und ging dann mit langen Schritten auf der anderen Seite wieder hinunter – erschöpft und von sich selbst enttäuscht.
Danach ging er gleichmäßig voran durch die Vorberge bis zu den kahlen Gebirgszügen selbst. Die Straße schrumpfte zu einem schmalen Pfad, der durch eine gewundene Schlucht aufwärts führte. Während er sich langsam hocharbeitete, mußte er immer wieder Pausen einlegen und sich ausruhen. Die Wände der Schlucht traten immer näher zusammen, und so sah der Himmel mehr und mehr wie die bemalte Decke einer hohen Kathedrale aus. Der Weg wurde steiler. Plötzlich öffnete sich die Schlucht zu einer breiten Felsplatte. Der Berg verdeckte den Blick auf die Siedlung. Im Osten fiel der Hang steil zu den Sandebenen hin ab. Nie ging hinüber an den
Weitere Kostenlose Bücher