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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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»Der ist diesen Sommer rausgekommen.«
    »Älter. Und lustig.«
    »Oh.«
    Sie drückte ein paarmal auf die Menubalken am Bildschirm und dann erschien eine neue Seite: alte Komödien.
    Sie drückte noch ein paarmal auf die Scheibe und eine andere Liste erschien: Wirklich alte Komödien. Zeug wie die Marx Brothers und Eddie Murphy und Sylvester Stallone. Ich fuhr mit dem Finger an der Titelleiste herunter und stieß auf einen, der mich anmachte.
    »Dr. Seltsam«, sagte ich und deutete hin.
    Rachel schnaubte. »Ha! Porno-Komödie aus – mein Gott, den Sechzigern. Also, gebongt!« Sie klopfte neben dem Titel auf den Bildschirm, zog ihre Kreditkarte heraus, steckte sie in den Schlitz und drückte durch. Wir anderen schoben nacheinander ebenfalls unsere Kreditkarten hinein und folgten ihr ins Kino.
    Eine Viererkabine war gerade offen, also marschierten wir hinein, ließen uns in die Sessel fallen und als wir uns hineingewunden und es uns bequem gemacht hatten, fing der Film auch schon an.
    Er war in Schwarzweiß. Der Ton kratzte und die Videowand zeigte haufenweise Flecken und so. Als der Vorspann kam, lasen wir den Untertitel: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben!
    »Die verarschen uns!« flüsterte Ivan. Er saß rechts neben mir. »Mann«, sagte Pinky hinter ihm. »Haben die Leute tatsächlich so was angesehen?«
    Rachel, die zu meiner Linken saß, sagte: »Ja, und ich auch, also halt die Schnauze und laß mich gucken!«
    Also sahen wir uns den Film an. Es ging um die Besatzung eines Flugzeugs, das Atombomben an Bord hatte, und wie sie durch diesen blödsinnigen Fehler in die Sowjetunion flogen. Ich hatte so meine Schwierigkeiten, daraus schlau zu werden, bis Ivan sagte: »Ach, das war, bevor wir dem Staat beitraten.« Aber trotzdem bekam ich die Hälfte der Witze nicht mit. Der ganze verdammte Film machte einen ziemlich bösartigen Eindruck auf mich.
    Rachel mußte dasselbe empfinden, denn mitten drin, als die Nationalgarde anfing, eine Militärbasis zusammenzuschießen, streckte sie die Hand aus, nahm meine und drückte sie fest. Ich sah sie an und ich bin sicher, meine Augen müssen die Größe von Dollarmünzen gehabt haben. Aber sie zog meine Hand auf ihrer Seite der Armlehne hinunter, so daß Ivan und Pinky nichts bemerkten, und hielt sie weiterhin fest. Ich hatte ganz bestimmt nichts dagegen, fragte mich aber, was sie so ängstigte. Dann widmete ich dem Film etwas mehr Aufmerksamkeit, und bevor es mir selbst klar wurde, hatte ich schon Ivans Hand ergriffen und er zuckte nicht mal zusammen.
    Das war keine Komödie. Ja, natürlich, schwarzer Humor, aber da wurden echt ernste Sachen auf den Arm genommen. Vor allem die Denkweise der Leute damals. Die Sowjets waren der Große Feind oder die USA, je nachdem, auf welcher Seite man geboren worden war. Sie hatten all diese Raketen aufeinander gerichtet und Bomber und U-Boote bereitstehen, um nukleare Sprengköpfe über allen wichtigen Städten der Welt abzuladen, und alle waren total überreizt.
    Und so lebten die Leute in dem Bewußtsein, daß zu jeder Zeit, ob Tag oder Nacht, kosmische Strahlung den falschen Computer treffen und sie alle in die Luft jagen könnte.
    Wir erlebten das aus zweiter Hand, aber das reichte uns schon. Als schließlich der Cowboy-Pilot auf seiner Atombombe aus dem Bombenschacht ritt, dachte ich, ich müßte mich übergeben und Ivan hatte seinen Kaugummi verschluckt.
    Keiner von uns stand auf, bevor die letzten Namen vom Bildschirm verschwunden und die Lampen eingeschaltet waren, und auch dann sprachen wir nicht miteinander. Wir standen einfach auf und schlurften zur Tür. Sobald er den vertrauten Lärm des Einkaufszentrums wieder hörte, schoß Pinky in dieser Richtung los, aber Ivan und Rachel und ich blieben zurück und bemühten uns, erst die Erschütterung von unseren Gesichtern verschwinden zu lassen, bevor wir uns hinaus in die Öffentlichkeit begaben. Ivan sah zurück in den leeren Raum mit seinen vier Sesseln und dem dunklen Bildschirm und flüsterte: »Jesus Christus.« Er schüttelte den Kopf, drehte sich um und folgte Pinky.
    Rachel und ich atmeten ein paarmal tief durch und dann gingen wir auch hinaus. Die beiden waren schon auf halbem Weg zum Haupteingang.
    Auf unserem Weg hinaus kamen wir wieder an der alten Punkerin vorbei. Sie wedelte mir mit einem Flugblatt vor der Nase herum, und so nahm ich es halt. Ganz klar, sie hatte Angst davor, daß der Skystalk herunterfallen könnte. Ich wollte schon mit einer Verteidigungsrede

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