Fromme Wünsche
Aber irgend
jemand fühlt sich in die Enge getrieben. Der wird jetzt etwas unternehmen. Und
wenn ich hierbleibe, erwische ich ihn vielleicht.“
Die Lust an der Liebe war uns inzwischen vergangen.
Ich machte uns eine frittata. Dazu
gab's den restlichen Wein. Roger schlief bei mir. Bis nach drei lag ich wach
und lauschte seinen ruhigen und regelmäßigen Atemzügen. Meine Gedanken
kreisten um diese unpersönliche Stimme. Kannte ich jemanden, der als
Säureattentäter in Frage kam?
8 Der
alte Fälscher
Am Sonntag kurvte ich auf dem Weg zu Lotty durch
eine Reihe von Einbahnstraßen, bog häufig ab und hielt nach Kreuzungen kurz an.
Niemand war mir auf den Fersen. Mein gestriger Anrufer war offenbar nicht so
stark an mir interessiert. Jedenfalls bis jetzt.
Lotty erwartete mich unter der Haustür. Wie ein
Kobold sah sie aus: ein Energiebündel von einsfünfzig, eingepackt in eine
leuchtendgrüne Lodenjacke, auf dem Kopf einen exotisch anmutenden knallroten
Hut. Ihr Onkel wohnte in Skokie, also wandte ich mich nach Norden, Richtung
Irving Park Road, und nahm die Kennedy-Schnellstraße.
Links und rechts erhoben sich rußgeschwärzte
Fabrikgebäude. Vor meiner Windschutzscheibe tanzten ein paar Schneeflocken. Es
schien jedoch kein Schneesturm im Anzug zu sein, denn die Wolken waren hoch. An
der Abzweigung Eden-Schnellstraße bog ich nach Nordosten ab. Und nun erzählte
ich Lotty von dem Anruf.
„Gut und schön, wenn ich bei der Beweissicherung
mein Leben aufs Spiel setze. Aber dich und deinen Onkel möchte ich da nicht mit
hineinziehen. Nach menschlichem Ermessen hat nur einer Dampf ablassen wollen.
Vielleicht aber auch nicht. Und darum solltest du dir über das Risiko klar sein
und selbst die Entscheidung treffen.“
Wir näherten uns dem Dempster-Autobahnkreuz. Lotty
dirigierte mich über die Ostausfahrt zur Crawford Avenue. Erst dort antwortete
sie mir. „Ich finde nicht, daß wir ein Risiko eingehen. Gut, du hast ein
Problem, und möglicherweise wird es durch das Gespräch mit meinem Onkel noch
größer. Wenn er und ich aber keiner Menschenseele von deinem Besuch erzählen,
kann auch nichts passieren. Möglicherweise kann er dir weiterhelfen. Im übrigen
wäre ich nicht gerade erbaut, wenn du zu mir in den Operationssaal kämst, um
mich über eventuelle Risiken zu belehren. Und deshalb rede ich dir in deinen
Beruf auch nicht hinein.“
Wir hielten vor einem ruhig gelegenen Wohnblock.
Lottys Onkel begrüßte uns in der Wohnungstür. Er sah ein bißchen aus wie
Laurence Olivier in Marathonmann; seine
zweiundachtzig Jahre sah man ihm nicht an. Er hatte die gleichen leuchtenden
schwarzen Augen wie Lotty; als er sie zur Begrüßung küßte, blitzten sie auf.
Mir schüttelte er mit einer kleinen Verbeugung die Hand.
„Wie schön! Zwei bezaubernde Damen wollen einem
alten Mann den Sonntagnachmittag verschönen. Nur hereinspaziert.“ Er sprach
Englisch mit einem starken Akzent, anders als Lotty, die es in der Kindheit
gelernt hatte.
Wir folgten ihm ins Wohnzimmer, das mit Möbeln und
Büchern vollgestopft war. Mich geleitete er galant zu einem Sessel mit
Chintzbezug, Lotty und er setzten sich auf ein Sofa. Auf einem Mahagonitisch
war zum Kaffee gedeckt. Mattes Silber schimmerte. Die Kaffeekanne und das
übrige Porzellan trugen als Dekor Phantasiegestalten. Um sie besser betrachten
zu können, beugte ich mich vor. Ich erkannte Greifen und Zentauren, Einhörner
und Nymphen.
Onkel Stefan strahlte vor Freude über mein
Interesse. „Es wurde Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in Wien hergestellt,
als der Kaffee gerade zum Lieblingsgetränk der Wiener wurde.“ Er füllte unsere
Tassen, bot mir dickflüssige Sahne dazu an und griff nach dem Nymphchen auf dem
silbernen Deckel einer Kuchenplatte. Was darunter zum Vorschein kam, war
einfach paradiesisch.
„Sicher gehören Sie nicht zu den Frauen, die aus
Angst um ihre Figur nichts essen. Die Amerikanerinnen sind zu mager. Stimmt's,
Lottchen?“
Einige Minuten lang ließ er sich über die positiven
Wirkungen von Schokolade auf den Organismus aus. Ich trank eine Tasse
hervorragenden Kaffee und aß ein Stück Haselnußkuchen. Wie sollte ich es
anstellen, unauffällig das Thema zu wechseln? Doch er tat es ganz unvermittelt
selbst, nachdem er mir noch ein Stück Kuchen aufgenötigt und eine zweite Tasse
Kaffee eingegossen hatte.
„Lotty sagt, Sie möchten mit mir über das Gravieren
reden.“
„Ja, das stimmt.“ Ich erzählte kurz von Rosa und
ihren Problemen.
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