Fromme Wünsche
reden, Victoria!“
Ich setzte mich rittlings auf einen Küchenstuhl. „So
geht's nicht, Rosa. Ich lasse mich nicht ein- und ausschalten wie ein
Fernsehapparat. Vor einer Woche hast du mir 'ne Familienschnulze vorgespielt
und mich hier antanzen lassen, und am Donnerstag besinnst du dich plötzlich auf
deine moralischen oder ethischen Grundsätze.“ Ich sah sie eindringlich an. „Das
macht sich zwar gut, Rosa, aber es sieht dir gar nicht ähnlich.“
Sie kniff die dünnen Lippen zusammen. „Woher willst
du das wissen? Du bist ja nicht mal getauft. Von dir kann man gar nicht
erwarten, daß du etwas von christlicher Gesinnung verstehst.“
„Da dürftest du richtig liegen. In der modernen Welt
wird man damit selten konfrontiert. Aber dir ist eines nicht klar: Du hast
meine Gefühle ganz schön strapaziert, nur damit ich hier herauskomme. Und jetzt
wirst du mich eben so schnell nicht mehr los. Du wolltest unbedingt mich, und
hier bin ich.“
Rosa sank auf einen Stuhl. Ihre Augen funkelten vor
Wut. „Ich habe meine Meinung eben geändert. Das ist mein Recht. Du sollst
nichts mehr unternehmen.“
„Eins möchte ich wissen, Rosa: War es deine Idee,
oder hat dir das jemand geraten?“ Sie schwieg. „Wen willst du schützen? Ist es
jemand, der von den Fälschungen weiß?“ Immer noch Schweigen. „Na gut. Weißt du,
neulich habe ich nach einer Methode gesucht, mit der ich dem FBI überlegen
wäre. Mir ist auch etwas eingefallen. Aber du hast mich gerade auf eine viel
bessere Idee gebracht. Ich lasse dich beschatten, dann erfahre ich gleich, mit
wem du dich abgibst.“
Der Haß in ihrem Gesicht konnte einem angst machen. „So,
so! Na ja, was kann man von der Tochter einer Hure schon erwarten!“
Ohne zu überlegen, versetzte ich ihr einen Schlag
auf den Mund.
Ein hinterhältiger Ausdruck erschien in ihren Zügen,
aber sie war zu stolz, um die Stelle zu betasten, wo ich sie getroffen hatte. „Wenn
du die Wahrheit wüßtest, wär's mit deiner Liebe so ziemlich vorbei.“
„Danke, Rosa. Nächste Woche komme ich wieder. Dann
kannst du mir ein weiteres Beispiel christlicher Gesinnung geben.“
Während des Schlagabtauschs hatte Albert stumm in
der Küchentür gestanden. Er brachte mich zur Haustür. „Du solltest die Sache
wirklich vergessen, Victoria. Sie macht sich große Sorgen.“
„Warum stehst du eigentlich immer auf ihrer Seite,
Albert? Sie behandelt dich doch wie einen geistig zurückgebliebenen
Vierjährigen. Wie kann man nur so ein Muttersöhnchen sein! Such dir 'ne
Freundin, und nimm dir eine eigene Wohnung. Solange du hier lebst, heiratet
dich keine.“
Er murmelte etwas vor sich hin und knallte hinter mir
die Tür zu. Im Auto mußte ich mich erst mal beruhigen. Dieses Weib! Sie hatte
nicht nur das Andenken an meine Mutter beschmutzt, sondern mich auch noch so
gereizt, daß ich mich dazu hatte hinreißen lassen, sie zu schlagen. Mir war
ganz schlecht vor Wut und Abscheu vor mir selbst. Aber um Verzeihung bitten
würde ich die alte Hexe niemals.
In trotziger Stimmung fuhr ich zum Kloster. Pater
Carroll nahm gerade die Beichte ab - es würde noch ein Stündchen dauern. Wenn
ich wollte, könnte ich auf ihn warten. Ich hinterließ eine Nachricht, daß ich
mich am Wochenende bei ihm melden würde, und fuhr zurück in die Stadt.
Ich war in Kampflaune. In meiner Wohnung machte ich
mich über die Dezemberabrechnung her, aber ich war mit den Gedanken nicht bei
der Sache. Schließlich kramte ich alle meine angeschmutzten Sachen hervor und
steckte sie unten im Keller in die Waschmaschine. Ich überzog das Bett frisch
und saugte Staub, doch danach fühlte ich mich immer noch miserabel.
Schließlich merkte ich, daß Arbeit nicht half. Ich holte meine Schlittschuhe
aus dem Schrank und fuhr hinüber zum Eislaufplatz am Montrose Harbor. Ich
mischte mich unter die Kinder und lief über eine Stunde. Anschließend gönnte
ich mir im Dortmunder Restaurant im Souterrain des Chesterton Hotels ein
verspätetes leichtes Mittagessen.
Als ich gegen drei erschöpft wieder heimkam, war
mein Ärger verflogen. Ich hörte das Telefon klingeln, während ich den
Schlüssel ins Doppelschloß steckte. Meine Finger waren steif und kalt, und bis
ich das zweite Schloß geöffnet hatte und durch die Diele ins Wohnzimmer und an
den Apparat gelangt war, hatte der Anrufer eingehängt.
Um sechs war ich mit Roger Ferrant zu einem
Kinobesuch verabredet, und anschließend wollten wir essen gehen. Ein kleines
Nickerchen und ein
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