Fromme Wünsche
Dann zog ich ein Zertifikat über hundert Anteile der
Acorn-Computergesellschaft aus der Handtasche und reichte es Onkel Stefan.
Damit hatte mir die aufstrebende Computerfirma meine Dienste honoriert, als ich
in einem Fall von Industriespionage für sie tätig gewesen war.
„Meines Wissens wird für die meisten Zertifikate das
gleiche Papier verwendet. Wäre es denn schwierig, ein solches Ding so gut zu
fälschen, daß sogar jemand, der ständig damit zu tun hat, den Schwindel nicht
merkt?“
Schweigend nahm er das Dokument und ging zu seinem
Schreibtisch am Fenster. Er holte ein Vergrößerungsglas aus dem mittleren
Schubfach, schaltete die Schreibtischlampe ein und untersuchte das Zertifikat
länger als eine Viertelstunde.
„Es wäre schon schwierig“, meinte er schließlich. „Nicht
ganz so schwierig vielleicht, wie gute Blüten zu fabrizieren.“ Er winkte mich
zu sich. Lotty schloß sich an und spähte ihm über die Schulter. Er begann,
Details zu erklären: Das Papier zum Beispiel, ein Urkundenpapier von schwerer
Qualität, sei nicht leicht zu beschaffen. „Und es hat eine ganz bestimmte
Struktur. Will man einen Experten täuschen, so muß man auf diese Struktur
achten. Zweck des Ganzen ist, dem armen Fälscher das Leben schwerzumachen.“
Verschmitzt lächelnd drehte er sich zu Lotty um, die ärgerlich die Stirn
runzelte. „Dann wäre da noch das Firmenzeichen der Emissionsgesellschaft und
verschiedene Unterschriften, die einzeln abgestempelt sind. Der Stempel
bereitet die meisten Probleme, denn es ist beinahe unmöglich, ihn nachzumachen,
ohne daß die Tinte des Namenszugs verschmiert wird. Haben Sie die gefälschten
Papiere aus dem Kloster gesehen? Wissen Sie, woran man erkannt hat, daß sie
nicht echt waren?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß nur, daß die
Papiere Seriennummern trügen, die von der Emissionsgesellschaft gar nicht
verwendet worden waren.“
Er gab mir das Zertifikat zurück. „Schade, daß Sie
sie nicht gesehen haben. Auch wenn Sie wüßten, was der Fälscher damit vorhatte,
wäre das vorteilhaft. Man könnte daraus schließen, wieviel Sorgfalt für die
Fälschung nötig war.“
„Darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht. Der
einzige Verwendungszweck, den ich mir vorstellen könnte, wäre eine
Sicherungsübereignung. Beim Verkauf nehmen die Banken sie immer sehr genau
unter die Lupe. Aber hier wurden die echten Papiere gestohlen. Der Täter
brauchte also nur ein paar Klosterbrüder und Revisoren in dem Glauben zu
lassen, die Aktien seien noch vorhanden. Es geht um keinen gewöhnlichen
Diebstahl. Da kennt man den Zeitpunkt genau und weiß, wer Zugang zum Diebesgut
hatte.“
„Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht mehr sagen kann,
junge Dame. Sie müssen aber unbedingt noch ein Stück Kuchen essen, bevor Sie
gehen.“
Ich setzte mich wieder hin und nahm ein Stück
Aprikosen-Mandel-Torte. „Sie können mir eventuell doch weiterhelfen. Die
Fälschungen müßten in den letzten zehn Jahren begangen worden sein. Angenommen,
sie liegen erst kurze Zeit zurück. Wie könnte ich den Täter herausfinden?
Angenommen, er - oder sie - stammt hier aus der Gegend.“
Er wurde ernst, und es dauerte eine ganze Weile,
bevor er in ruhigem Ton sagte: „Lottchen hat Ihnen von meiner Vergangenheit
erzählt. Was ich für Zwanzigdollarnoten gemacht habe. Wahre Prachtstücke!
Besonders, wenn man bedenkt, daß ich auch mein Werkzeug selbst
zusammengebastelt habe.“ Er wirkte wieder so heiter wie zuvor.
„Unter den Fälschern gibt es zwei Typen, Miss
Warshawski: freischaffende Künstler wie mich, und Leute, die für ein Syndikat
arbeiten. Sie haben es mit jemandem zu tun, der im Auftrag eines anderen
handelte. Wonach Sie suchen, ist nicht der Meistergraveur, sondern sein Kunde.
Habe ich recht?“
Ich nickte.
„Bei der Suche nach dem Graveur kann ich Ihnen nicht
helfen. Doch ich könnte Ihnen möglicherweise bei der Suche nach dem
Auftraggeber behilflich sein.“
„Wie das?“ mischte sich Lotty ein.
„Ich könnte so ein Ding fabrizieren und
herumposaunen, daß ich eins zu verkaufen habe.“
Ich überlegte. „Ja, das könnte klappen. Aber Sie
würden ein ungeheures Risiko eingehen.“ Onkel Stefan beugte sich zu mir und
faßte meine Hand. „Mein liebes Kind, ich bin ein alter Mann. Ich genieße mein
Leben, aber mit der Angst vor dem Tod ist es vorbei. Und so ein Unternehmen
wäre der reinste Jungbrunnen für mich.“
Lotty unterbrach ihn mit ein paar lebhaft
vorgebrachten
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