Fromme Wünsche
gleichzeitig
feststellen, ob sich mein geheimnisvoller Anrufer daraufhin wieder melden
würde. Geschah nichts, so konnte das natürlich nicht als Beweis gelten; hörte
ich wieder von ihm, so war anzunehmen, daß er das Kloster beobachtete.
Als ich ankam, war es halb fünf. Die Ordensbrüder
strömten zur Vesper und zur Abendmesse in die Kapelle. Pater Carroll, der
gerade aus seinem Büro trat, während ich noch zögernd herumstand, lächelte mir
liebenswürdig zu und lud mich zum Abendgebet ein.
Ich folgte ihm in die Kapelle. In der Mitte standen
sich - leicht erhöht - zwei doppelte Bankreihen gegenüber, und er führte mich
zur hinteren Reihe auf der linken Seite. Die einzelnen Plätze waren durch
Armlehnen voneinander getrennt. Ich setzte mich und lehnte mich zurück. Pater
Carroll drückte mir ein Gebetbuch in die Hand und zeigte mir, welche Lesungen
und Gebete für heute vorgesehen waren, bevor er sich hinkniete.
Im winterlichen Dämmerlicht fühlte ich mich um fünf,
sechs Jahrhunderte zurückversetzt. Die Ordensleute im weißen Habit, die
flackernden Kerzen auf dem einfachen Holzaltar zu meiner Linken - das alles
wirkte mittelalterlich auf mich. Ich war der einzige Fremdkörper hier, mit
meinem schwarzen Wollkostüm und den hochhackigen Pumps.
Anschließend nahm mich Carroll in sein Büro zum Tee
mit. Für meine Begriffe schmeckt zwar fast jeder Tee wie aufgebrühtes Heu;
doch aus Höflichkeit trank ich eine Tasse des grünlichen Gebräus und erkundigte
mich, ob er vom FBI etwas gehört habe.
„Sie haben die Aktien auf Fingerabdrücke und was
weiß ich noch alles untersucht. Sie hofften wohl, Staubteilchen oder andere
Hinweise auf den Verwahrungsort zu entdecken. Anscheinend haben sie nichts
gefunden, denn wir kriegen die Dinger morgen zurück.“ Er lächelte verschmitzt.
„Ich habe bewaffneten Geleitschutz zur Bank von Melrose Park verlangt. Wir
wollen die Papiere in einem Safe unterbringen.“
Auf seine Einladung zum Abendessen reagierte ich
zurückhaltend; die Erinnerung an das Mittagsmahl war noch zu frisch. Spontan
schlug ich vor, in einem der erstklassigen italienischen Restaurants in
Melrose Park zu essen. Ein wenig überrascht stimmte er zu.
„Ich zieh' mir nur etwas anderes an.“ Wieder
lächelte er. „Unsere jungen Ordensbrüder tragen ihr Habit gern in der Öffentlichkeit.
Es macht ihnen Spaß, ein bißchen aufzufallen. Wir älteren legen darauf keinen
Wert mehr.“
Als er nach zehn Minuten zurückkam, trug er ein
kariertes Sporthemd, schwarze Hosen und ein schwarzes Jackett. In einem kleinen
Restaurant in der North Avenue verbrachten wir einen angenehmen Abend. Er
zeigte Interesse für meine Arbeit, und ich versuchte, mich an ein paar
ungewöhnliche Fälle zu erinnern.
„Man ist sein eigener Boß, das ist das größte Plus
daran. Dazu kommt die Genugtuung, wenn man wieder ein Problem gelöst hat - auch
wenn es meistens nur um kleine Probleme geht. Heute mußte ich vor dem
Appellationsgericht in Elgin aussagen. Da fiel mir die Zeit ein, als ich
Pflichtverteidigerin war. Wir hatten entweder Verrückte zu verteidigen, die
eigentlich hinter Gitter gehört hätten, damit sie kein Unheil anrichten
konnten, oder arme Teufel, die in die Mühlen der Justiz geraten waren und kein
Geld hatten, da herauszukommen. Nach so einer Verhandlung hatte man das Gefühl,
man habe eigentlich nur alles schlimmer gemacht. Wenn ich dagegen als
Detektivin einer Sache auf den Grund gehe, dann habe ich meiner Ansicht nach
etwas Vernünftiges getan.“
„Kein glanzvoller Job, aber anscheinend doch ein
sinnvoller... Mrs. Vignelli hat Sie nie erwähnt. Bis zu ihrem Anruf letzte
Woche dachte ich, sie habe keine Angehörigen außer ihrem Sohn. Gibt es noch
mehr Verwandte?“
Ich schüttelte den Kopf. „Meine Mutter war die
einzige. Möglich, daß Onkel Carl noch Angehörige hatte. Er ist lange vor meiner
Geburt gestorben. Das heißt, er hat sich erschossen. Rosa hat sehr darunter
gelitten.“ Mehr wollte ich nicht erzählen. Man trägt Familienstreitigkeiten
nicht in die Öffentlichkeit.
Nachdem ich Carroll am Kloster abgesetzt hatte, fuhr
ich zurück in die Stadt. Es hatte leicht zu schneien begonnen. Kurz vor zehn
schaltete ich den Lokalsender ein, um die Nachrichten und den Wetterbericht zu
hören. Ohne großes Interesse verfolgte ich die Meldungen, die das Übliche
brachten. Die deutliche Stimme des Nachrichtensprechers fuhr fort:
Soeben wird uns aus Chicago der gewaltsame Tod der
Finanzmaklerin Agnes
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