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Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretzky
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Kopfschmerzen und
Herzklopfen weckten mich am Donnerstag um halb sechs. Angewidert betrachtete
ich mich im Badezimmerspiegel. „Du wirst alt und häßlich, V. I. Wer am Morgen
mit Knitterfalten im Gesicht aufwacht, sollte abends nichts trinken.“
    Ich preßte ein paar Orangen aus, stürzte den Saft in
einem Zug hinunter, nahm vier Aspirin und legte mich wieder ins Bett. Um halb
neun riß mich das Klingeln des Telefons aus dem Schlaf. Eine unpersönliche
Männerstimme bestellte mich für den Vormittag zu Lieutenant Robert Mallory aufs
Revier.
    „Ein Gespräch mit Lieutenant Mallory ist mir immer
ein Vergnügen“, erwiderte ich höflich. Ich war noch ein bißchen benommen.
„Wissen Sie zufällig, worum es geht?“
    Das wußte er nicht, aber wenn möglich, sollte ich um
halb zehn dort sein.
    Ich versuchte sofort, Murray Ryerson beim Herald-Star zu erreichen, aber er war noch nicht da. Mit geradezu
sadistischen Gefühlen klingelte ich ihn aus dem Bett. „Murray, was weißt du
über den Fall Agnes Paciorek?“
    Er raunzte mich an: „Und deshalb holst du mich aus
dem Bett? Kauf dir doch die Morgenzeitung!“ Er knallte den Hörer auf.
    Verärgert wählte ich neu. „Hör zu, Ryerson. Ich war
seit Urzeiten mit Agnes befreundet, und letzte Nacht wurde sie erschossen.
Jetzt will Bobby Mallory mit mir reden. Gab's in ihrem Büro irgend etwas
Außergewöhnliches?“
    „Bleib mal dran.“ Er legte den Hörer hin, und ich
hörte ihn den Flur entlangtapsen, hörte Wasser laufen und eine Frauenstimme
etwas Unverständliches sagen.
    „Hoffentlich kannst du deine Jessica, oder wie sie
sonst heißt, noch ein Weilchen hinhalten.“
    „Sei nicht boshaft, Vic. Das steht dir nicht.“
Sprungfedern quietschten, und dann war ein unterdrücktes „Autsch!“ von Murray
zu hören.
    „Also gut. Erzähl jetzt, was du von Agnes weißt.“
    Er begann, mir seine Notizen vorzulesen: „Agnes
Paciorek gestern abend gegen acht erschossen. Zwei 22er Kugeln im Gehirn.
Bürotüren unverschlossen. Putzfrau schließt ab, wenn sie mit dem sechzigsten
Stock fertig ist. Martha Gonzales putzt siebenundfünfzigstes bis sechzigstes
Stockwerk, kam zur gewohnten Zeit, neun Uhr fünfzehn. Bemerkte nichts Außergewöhnliches.
Betrat Besprechungszimmer um neun Uhr dreißig, sah die Leiche und rief die
Polizei. Keine Kampfspuren, kein Vergewaltigungsversuch. Laut Polizei wurde sie
vom Täter überrascht, eventuell kannte sie ihn... Das wär's. Du gehörst zu
den Leuten, die sie kannte. Vermutlich will die Polizei nur wissen, wo du
gestern abend um acht warst. Nachdem ich dich gerade an der Strippe habe,
kannst du mir's ja verraten.“
    „Ich habe in einer Bar meinen bezahlten Killer zum
Rapport erwartet.“ Ich hängte ein und sah mich mißmutig im Zimmer um.
Orangensaft und Aspirin hatten zwar meine Kopfschmerzen vertrieben, aber ich
fühlte mich hundeelend. Zum Joggen blieb mir keine Zeit, und gerade das hätte
ich heute bitter nötig gehabt. Es reichte nicht einmal mehr zu einem ausgedehnten
Bad. Ich stellte mich zehn Minuten unter die dampfendheiße Dusche, zog den
Hosenanzug aus Wollgeorgette an, dazu eine blaßgelbe Hemdbluse, und rannte zu
meinem Auto.
    Lieutenant Mallory hatte seinen Polizeidienst im
gleichen Jahr begonnen wie mein Vater. Doch Vaters Ehrgeiz hielt sich in
Grenzen; er reichte vor allem nicht aus, um die Vorurteile der irischen
Übermacht gegen Polizisten polnischer Abstammung auszuräumen. Mallory war also
befördert worden, und Tony blieb Streifenpolizist. Ihre Freundschaft hatte
nicht darunter gelitten. Wegen dieser persönlichen Beziehung findet es Mallory
widerwärtig, mit mir über Straftaten zu reden. Seiner Meinung nach sollte Tony
Warshawskis Tochter ein paar niedliche kleine Kinder in die Welt setzen und
nicht Gangster zur Strecke bringen.
    Punkt halb zehn marschierte ich an den Zuhältern
vorbei, die vor dem hohen hölzernen Schaltertisch Schlange standen, um die
Nutten auszulösen, die die Polizei in der vergangenen Nacht aufgegriffen hatte.
Hier roch es ähnlich wie im Sankt-Albert-Kloster. Lag vermutlich am Linoleum
oder an den Uniformen.
    Als ich das Kabuff betrat, das Mallory Büro nennt,
telefonierte er. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt; der weiße Stoff spannte
über seinen Armmuskeln, als er mich hereinwinkte. Ich bediente mich erst noch
aus einer Kaffeekanne in einer Kochnische im Flur und setzte mich dann auf den
unbequemen Klappstuhl vor seinem Schreibtisch. Mallorys Gesicht verrät mir
stets seine Gefühle:

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